Cannabis auf Rezept: Anwendung von medizinischem Cannabis
Seit 2017 ist Cannabis auf Rezept erhältlich, die Kosten übernimmt in der Regel die Krankenkasse. Bei welchen Krankheiten verschreibt der Arzt dem Patienten medizinisches Cannabis und darf man es selbst anbauen?
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Im März 2017 beschloss die Bundesregierung die Legalisierung von Cannabis auf Rezept – allerdings nur für schwerkranke Patienten und unter strengen Auflagen. Die Zahl der Abgaben cannabishaltiger Medikamente ist innerhalb weniger Monate um das Dreifache gestiegen: 2018 wurden bereits 95.000 Rezepte für Cannabis von den Krankenkassen erstattet.
Artikelinhalte im Überblick:
- Wer erhält Cannabis auf Rezept?
- Einsatzgebiete
- Darreichungsformen
- Rechtslage seit Legalisierung
- Unterschied THC und CBD
- Nebenwirkungen und Gegenanzeigen
Wer erhält Cannabis auf Rezept?
Damit ein Patient vom Arzt Cannabis auf Rezept verordnet bekommt und die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Der Patient muss an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden.
Eine andere, gleichwertige Behandlung steht entweder nicht zur Verfügung, ist weniger wirksam oder wird nicht gut vertragen.
Es gibt berechtigte Hinweise und Erfahrungsberichte, dass sich die Behandlung mit Cannabis positiv auf den Krankheitsverlauf auswirkt.
Allerdings stellt die Verordnung von Cannabis auf Rezept keine Regelleistung dar, sondern fällt unter den Erstattungsvorbehalt. Falls die Krankenkasse die Kosten nicht erstattet, ist eine Privatverordnung des Cannabis möglich. Die Kosten für die Behandlung muss der Betroffene dann selbst tragen.
Einsatzmöglichkeiten von Cannabis auf Rezept
Die entzündungshemmende und schmerzstillende Eigenschaft von medizinischem Cannabis haben sich vor allem bei chronischen Schmerzen und bei der Behandlung von Krebspatienten bewährt. Allerdings gibt es bisher nur positive Erfahrungsberichte von Ärzten und Patienten, verlässliche klinische Studien fehlen. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) hat deshalb eine Praxisleitlinie für Ärzte vorgelegt.
Erkrankungen, bei denen die DGS Cannabis empfiehlt:
chronische Schmerzen, Tumorschmerzen, neuropathische Schmerzen
therapieresistente Migräne und starke Kopfschmerzen
rheumatische Schmerzen wie starke Arthritis
Übelkeit und Erbrechen infolge von Chemotherapie
Appetitlosigkeit, Abmagerung, Untergewicht (insbesondere bei AIDS)
Bewegungsstörungen wie Tourette-Syndrom
schmerzhafte Spastiken bei Multipler Sklerose
chronisch-entzündliche Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa
Autoimmunerkrankungen wie Fibromyalgie
dermatologische Krankheiten wie Neurodermitis, Schuppenflechte (Psoriasis)
Erkrankungen, bei denen der Arzt Cannabis auf Rezept verordnen kann:
- psychiatrische Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen, Schizophrenie
- posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
- Alkoholismus und Drogenentzug
- Epilepsie
- Grüner Star (Glaukom)
- Blasenstörungen
- Reizdarmsyndrom
- Atemwegserkrankungen, Asthma
- Morbus Parkinson
- Morbus Alzheimer, Demenz
- ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung)
Cannabis bei Krebs
Studien haben bestätigt, dass medizinisches Cannabis das Wachstum von Krebszellen stoppen kann. Allerdings ist seine Wirkung nicht mit einer Chemotherapie zu vergleichen. In der Krebstherapie kann Cannabis auf Rezept unterstützend eingesetzt werden, um Tumorschmerzen zu lindern, Brechreiz und Übelkeit während der Chemotherapie einzudämmen und den Appetit der Patienten anregen.
Cannabis auf Rezept bei Schmerzen und Migräne
Als Schmerzmittel ist medizinisches Cannabis in einigen Studien als wirksames Medikament hervorgegangen. Dabei kann der Arzt es alleine oder begleitend zu anderen Schmerzmitteln einsetzen. Zur Anwendung bei therapieresistenter Migräne und Spannungskopfschmerz existieren positive Erfahrungsberichte.
Cannabis bei Augenerkrankungen
THC in Cannabis senkt den Augeninnendruck, dieser Effekt wird bei der Therapie des Glaukoms (Grüner Star) genutzt. Doch auch hier fehlen noch belastbare klinische Studien.
Cannabis auf Rezept in der Suchtbekämpfung
Bei Alkohol- und Drogenabhängigen wirkt Cannabis als milde Ausstiegsdroge, indem es die Entzugssymptome erträglicher macht. Cannabisöl (CBD) kann sogar bei der Entwöhnung von Marihuana und Haschisch hilfreich sein, indem es den süchtig machenden Eigenschaften von THC entgegenwirkt.
Wie wirkt Cannabis?
Die Hauptwirkung von Cannabis geht von den Cannabinoiden aus, zu denen unter anderem Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) gehören. Sie wirken im zentralen Nervensystem an Rezeptoren, die unter anderem das Schmerzempfinden, Appetit, Stress, Angst und Lernprozesse steuern.
THC hat einen berauschenden und bewusstseinserweiternden (halluzinogenen) Effekt. Es blockiert den Botenstoff GABA, der wiederum die Ausschüttung vom Neurotransmitter Dopamin verhindert. THC ist außerdem für die berüchtigten "Fressanfälle" nach Cannabisgebrauch verantwortlich. Therapeutisch kann dieser Effekt bei Appetitlosigkeit und Mangelernährung, beispielsweise bei Patienten mit AIDS oder nach einer Chemotherapie, nützlich sein.
CBD wirkt vor allem entspannend und krampflösend – ohne berauschende oder sedierende Wirkung. Reines CBD oder Cannabisöl erlangt dank seiner schmerzlindernden und entzündungshemmenden Eigenschaften in der Medizin zunehmend an Bedeutung (CBD-Öl ist zum Beispiel hier erhältlich).
- In Kombination mit THC wirkt CBD ausgleichend und reduziert zum Teil auch dessen mögliche Nebenwirkungen wie beispielsweise Angst oder Herzrasen.
Cannabinoide: Kombinationspräparate aus THC und CBD
THC ist in Deutschland unter dem Wirkstoffnamen Dronabinol auf Rezept erhältlich. Nabilon und Nabaximol sind Wirkstoffkombinationen von THC und CBD. Cannabisblüten, die vorzugsweise geraucht werden, enthalten ebenfalls THC und CBD – je nach Züchtung zu unterschiedlichen Anteilen.
Darreichungsformen bei Cannabis auf Rezept
Medizinisches Cannabis gibt es in Form von Tabletten, Kapseln, Ölen, Tropfen, Salben, Mundsprays und Inhalationslösungen. Erhältlich sind Cannabis-Arzneimittel ausschließlich in Apotheken. Da sie unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, sind sie verschreibungspflichtig und müssen vom Arzt auf Rezept verordnet werden.
Erstattungsfähig sind:
- die Arzneistoffe Dronabinol, Nabilon und Nabiximol
- medizinische Cannabisblüten
- Cannabisextrakte
Entweder verschreibt der Arzt Cannabisblüten, also die getrockneten Triebspitzen der Pflanze, oder ein Extrakt daraus. Cannabisblüten werden geraucht, Cannabisextrakte sind zum Beispiel als Tropfen oder Kapseln auf Rezept erhältlich. Rauchen oder Inhalieren bietet zwar den Vorteil des sehr schnellen Wirkeintritts, der Nachteil liegt allerdings in der schwierigen Dosierbarkeit. In dieser Hinsicht sind Kapseln, Öl, Tropfen oder Tabletten überlegen.
Kein Rezept nötig: CBD Öl ist frei verkäuflich
Cannabisöl (CBD) mit einem THC-Anteil unter 0,2 Prozent ist in der EU frei verkäuflich. Als Cannabisprodukt ist es in deutschen Apotheken bisher allerdings nicht offiziell erhältlich und die Kosten werden nicht von der Krankenkasse erstattet.
CBD Öl kann bei Schlaflosigkeit, Stress und Überbelastung hilfreich sein. Außerdem bei Rückenschmerzen, Allergien, Asthma und Immunschwäche. Wer CBD Öl einnehmen möchte, sollte vorher mit seinem Hausarzt über mögliche Nebenwirkungen und Gefahren sprechen.
Rechtslage seit Legalisierung von medizinischem Cannabis
Seit 2011 können Ärzte unter bestimmten Voraussetzungen Cannabis als Fertigarznei verschreiben. Im März 2017 wurde die Gesetzeslage soweit geändert, dass nun auch andere Cannabisprodukte wie Cannabisblüten und Cannabisextrakte auf Rezept verordnet werden dürfen und von den Krankenkassen übernommen werden können.
Im Gegenzug müssen sich Patienten bereiterklären, mittels anonymisierter Daten an einer Begleitforschung der Bundesopiumstelle teilzunehmen. Ziel ist es, durch die behandelnden Ärzte zuverlässige Informationen über die Wirksamkeit zu ermitteln.
Seit einiger Zeit erfolgt der Anbau von medizinischem Cannabis streng reguliert auch in Deutschland, ab 2020 sollen erste Chargen erntebereit sein. Dafür wurde eigens eine staatliche Cannabisagentur gegründet, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt ist. Sie vergibt Aufträge zum legalen Anbau an Unternehmen und kontrolliert die Auslieferung des medizinischen Cannabis an Apotheken.
Cannabis zu medizinischen Zwecken selbst anbauen?
Ab dem 01. April 2024 dürfen Personen über 18 Jahren bis zu 50 Gramm Cannabis für den Eigengebrauch besitzen und bis zu drei Cannabis-Pflanzen selbst anzubauen. Mit den Cannabis Social Clubs gibt es eine gemeinnützige Plattform für den sicheren und regulierten Eigenanbau und -konsum von Cannabis. Es handelt sich um geschlossene Gemeinschaften, in denen interessierte Personen Mitglied werden müssen.
Nach wie vor bleibt der Handel von Cannabis in Deutschland verboten – das gilt auch für den Konsum in der Nähe von Schulen und Sportstätten.
Nebenwirkungen von Cannabis auf Rezept
Schwerwiegende Nebenwirkungen von medizinischem Cannabis sind selten. Sofern die ärztliche Empfehlung, die Therapie in kleinen Dosierungen zu starten und langsam zu steigern, eingehalten wird.
Mögliche Nebenwirkungen sind:
Weiter können auftreten:
- Appetitlosigkeit
- Erbrechen
- Durchfall
- Verstopfung
- Hautrötung und Hitzegefühl (Flush)
- Blutdruckabfall
- psychische Effekte (euphorische Stimmung, Gedächtnisstörungen, Halluzinationen)
- Depression
- Verwirrung
- Angstzustände
- Schwierigkeiten beim Einschlafen
- Verstärktes Zittern bei Patienten mit Parkinson
Stärkere Nebenwirkungen treten vor allem bei THC-haltigen Medikamenten und medizinischem Cannabis auf. Reines Cannabisöl hat hingegen vergleichsweise wenige unerwünschte Wirkungen.
Gegenanzeigen: Wer darf Cannabis nicht anwenden?
Wie bei anderen Medikamenten und Betäubungsmitteln gibt es Gründe, die gegen eine Anwendung von Cannabis auf Rezept sprechen können, sogenannte Kontraindikationen:
Cannabis sollte keinesfalls in der Schwangerschaft angewandt werden, da es die Schutzfunktion der Plazenta beeinträchtigt und Auswirkungen auf das Ungeborene damit nicht ausgeschlossen werden können. Während der Therapie mit THC-haltigen Arzneimitteln sollte eine Schwangerschaft vermieden und bis drei Monate nach der Behandlung ausreichend verhütet werden.
Bei Personen, die eine schizophrene Veranlagung haben, kann insbesondere THC einen psychotischen Schub auslösen. Bekannte schwere Psychosen stellen deshalb eine absolute Kontraindikation für Cannabis auf Rezept dar.
Besondere Vorsicht ist bei Kindern und Jugendlichen geboten, da der Gebrauch von Cannabis bei ihnen besonders häufig zu Psychosen und Schizophrenie führt. Außerdem sind bleibende Störungen des Denkvermögens und der Persönlichkeitsreifung möglich. Die Verordnung von Cannabis auf Rezept unter 18 Jahren ist bei strenger Indikationsstellung grundsätzlich gestattet, sollte aber nur von erfahrenen Ärzten durchgeführt und besonders engmaschig überwacht werden.
Rauchen von Marihuana ist schädlich
Vor allem das regelmäßige Rauchen von Cannabis kann zahlreiche Krankheiten begünstigen, darunter Lungenkrebs, Schlaganfall und Herzinfarkt. Das Rauchen eines Joints ist laut einer Untersuchung so schädlich wie das Rauchen 20 Zigaretten, weil deutlich mehr Ammoniak und schädliche Stickstoff-Oxide enthalten sind. Immunabwehr, Fruchtbarkeit, Gehirn und Nerven können geschädigt werden.
Wechselwirkungen mit Medikamenten und Alkohol
Wechselwirkungen sind grundsätzlich möglich, da Cannabis gewisse Enzyme in der Leber hemmt und damit den Abbau von anderen Arzneimittelwirkstoffen einschränkt. Die Wirkung von Medikamenten kann sich dadurch abschwächen, aber auch verstärken. Letzteres macht man sich vor allem bei der Schmerzbekämpfung und in der Palliativmedizin zunutze, wo Cannabinoide unterstützend zur Verstärkung von Opioiden gegeben wird. Besondere Vorsicht ist bei der Kombination von Cannabis mit Alkohol gegeben, die zu unerwünschten Wirkungen führen und insbesondere die Reaktionsfähigkeit und Konzentrationsfähigkeit herabsetzen kann.
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