Psychotherapie

EMDR: Behandlung psychischer Traumafolgen

EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine Psychotherapiemethode, die insbesondere bei der Behandlung psychischer Traumafolgen zum Einsatz kommt. Die Methode zeigt erstaunliche Erfolge.

Ängste
© iStock.com/milanvirijevic

Bereits die Bezeichnung "Eye Movement Desensitization and Reprocessing" (EMDR) deutet auf den ungewöhnlichen Prozess hin, der bei dieser Form der Psychotherapie zur Anwendung kommt: Der Patient konzentriert sich auf bestimmte Anteile einer unzureichend verarbeiteten Erinnerung, während er gleichzeitig mit den Augen bestimmten Fingerbewegungen des Therapeuten folgt.

Artikelinhalte im Überblick:

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So funktioniert EMDR

Das zentrale Element dieser Therapie ist das Arbeiten an unverarbeiteten Erinnerungen. Normale Erfahrungen werden im Gedächtnis gespeichert, indem sie sortiert und mit Inhalten verknüpft werden. So können die Informationen verarbeitet werden und der Mensch erinnert sich an die Erfahrungen. Ein traumatisches Erlebnis wird im Gehirn dagegen nicht wie ein normales Erlebnis einsortiert: Es wird mitsamt allen dazugehörenden Sinneseindrücken und Gedanken separat gespeichert. Die Information kann so nicht verarbeitet werden.

Aktiviert werden kann das traumatische Erlebnis durch Auslösereize: Alles was an das Trauma erinnert – ein Geräusch, ein Geruch, eine Berührung – kann dazu führen, dass Betroffene das Gefühl haben, die Situation erneut zu durchleben. Körperliche Reaktionen wie Atemnot und Herzrasen sowie Angst und Hilflosigkeit können die Folge sein.

Der Ansatz von EMDR

Ziel der EMDR-Therapie ist es, Zugang zu der traumatischen Erinnerung zu erlangen und sie wie eine normale Erinnerung ins Gedächtnis einzusortieren. Dazu ist es notwendig, die Reaktion auf die Erinnerung auszulösen und gleichzeitig das Informationsverarbeitungssystem zu aktivieren. So kann die Erinnerung nachverarbeitet werden.

Im Anschluss an die Psychotherapie sollen sich die Betroffenen nicht mehr wehrlos in die Situation zurückversetzt fühlen, sondern die Erinnerungen normal wahrnehmen und aushalten können: Die Erinnerung an das Trauma ist dann zwar immer noch unangenehm. Aber sie ist nicht mehr so bedrängend und belastet, als ob die Betroffenen direkt unter dem Eindruck des traumatischen Ereignisses stehen würden.

Wie läuft EMDR ab?

Zur Bearbeitung der Erinnerung werden die Betroffenen wiederholt angeleitet, kurzzeitig mit der belastenden Erinnerung in Kontakt zu treten. Gleichzeitig wird eine sogenannte bilaterale Stimulation durchgeführt: Diese besteht aus Augenbewegungen, Tönen, kurzen Berührungen des Handrückens (sogenannte Taps) oder Fingerschnippen. Dadurch scheint im Gehirn ein Informationsverarbeitungsprozess angestoßen zu werden.

Bei EMDR ist es nicht notwendig, das belastende Ereignis detailliert zu schildern.

Wirkmechanismus von EMDR

Der genaue Wirkmechanismus der EMDR-Methode ist bisher nicht klar. Folgende drei Mechanismen sollen bewirken, dass der Betroffene die Erinnerungen an ein Trauma nicht mehr als bedrohlich empfindet:

  • Die Erinnerungen an das Trauma werden wiederholt in der sicheren Umgebung der Therapie hervorgeholt. Somit verknüpfen sie sich mit dem Gefühl relativer Sicherheit und der Betroffene lernt, dass die Erinnerungen nicht bedrohlich sind.

  • Die schnellen Augenbewegungen während der Therapie simulieren die Augenbewegungen, die wir im Traum machen. Da im Traum Erinnerungen sortiert und im Langzeitgedächtnis gespeichert werden, soll EMDR so Gedächtnisprozesse anregen und eine schnellere Heilung ermöglichen.

  • Die rhythmischen Augenbewegungen sollen zur Entspannung verhelfen und die bedrohlichen Erinnerungen an neutrale Reize koppeln.

Wann kann EMDR helfen?

Der bekannteste und wichtigste Grund für die Anwendung dieser Therapie sind posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Neben PTBS können auch andere Formen von psychischen Traumatisierungen mit EMDR behandelt werden: Sogenannte chronifizierte Traumafolgestörungen und Störungsbilder nach belastenden Lebenserfahrungen ohne erlebte Lebensgefahr sprechen ebenfalls gut auf eine Behandlung mit der Methode an.

Phantomschmerzen

Ein ebenfalls gut untersuchter Anwendungsbereich ist die Behandlung von Phantomschmerzen. Durch das Ansprechen des sogenannten Schmerzgedächtnisses werden durch die Therapie bei mehr als 50 Prozent der Betroffenen deutliche Verbesserungen bis hin zum völligen Verschwinden des Phantomschmerzes erreicht.

Alkoholabhängigkeit

Ein Einsatzbereich der Therapie ist außerdem die Behandlung alkoholabhängiger Personen. Insbesondere das Verlangen (Craving) Alkoholabhängiger wird nach wenigen EMDR-Sitzungen reduziert und es werden deutlich weniger Rückfälle verzeichnet. Hier wird durch EMDR das sogenannte Suchtgedächtnis angesprochen.

Weitere Anwendungsgebiete

Weitere Bereiche, in denen EMDR wirksam sein kann:

  • Anpassungsstörungen
  • Trauer nach Verlusterlebnissen
  • depressive Belastungsreaktionen
  • Angststörungen und Phobien
  • belastungsbedingte Verhaltensstörungen insbesondere bei Kindern
  • Traumafolgestörungen nach schweren Belastungen in der Kindheit

EMDR-Behandlung: Der Ablauf im Detail

EMDR ist eine sehr gut strukturierte Psychotherapiemethode. Dadurch gibt sie dem Patienten einen stabilisierenden Rahmen und Sicherheit. Die Therapie folgt einem standardisierten Ablauf und umfasst in der Regel acht Behandlungsphasen. Wie lange die Therapie dauert und wie viele Sitzungen notwendig sind, ist individuell unterschiedlich: Die Dauer wird insbesondere von dem Verlauf der Phasen 4 und 5 bestimmt.

Phase 1: Vorgeschichte und Behandlungsplanung

In dieser ersten Phase der Therapie lernen sich Patient und Therapeut kennen. Es erfolgt die Anamnese und Diagnostik. Danach wird gemeinsam ein Behandlungsplan erstellt.

Phase 2: Vorbereitung des Patienten

Es wird geprüft, wie stabil der Betroffene ist. Falls erforderlich, wird eine Stabilisierung durchgeführt. Dafür werden Entspannungstechniken, imaginative Verfahren oder (falls nötig) auch Medikamente eingesetzt.

In die zweite Phase fällt auch die Absprache, dass die Bearbeitung der Erinnerungen jederzeit durch den Patienten unterbrochen werden kann.

Phase 3: Bewertung der Erinnerung

Es wird nun nach einer einzelnen Erinnerung gesucht, von der der Therapeut denkt, dass sie eine zentrale Bedeutung hat und sehr wichtig für das bestehende Problem ist. Diese Erinnerung wird angesprochen und mit dem wichtigsten Gedanken, Bild, Gefühl und den dazugehörigen körperlichen Reaktionen betrachtet. Eine Zahl auf einer Skala von 1 bis 10 verdeutlicht dabei die Schwere: 0 bedeutet "es macht mir nichts aus", 10 ist "das Schlimmste, woran ich denken kann".

Phase 4: Durcharbeitung

Nun soll der Betroffene mit der Erinnerung in Kontakt treten: In kurzen Abschnitten von etwa einer halben Minute denkt er daran. Gleichzeitig wird ihm eine bilaterale Stimulation angeboten. Diese besteht meist aus Augenbewegung oder dem Berühren der Hände. Dazwischen stoppt der Therapeut kurz und fragt, was der Patient gerade spürt.

Von diesem Zeitpunkt an läuft der Prozess eigendynamisch und individuell. 

Diese Phase der Psychotherapie kann sehr kreativ sein. Daher spielt die Erfahrung des EMDR-Therapeuten hier die größte Rolle. Dieser muss flexibel reagieren und eigene Stabilität aufweisen, um dem Patienten das notwendige Maß an Unterstützung zu geben.

Phase 4 kann sich über mehrere Sitzungen ziehen. Die klinische Erfahrung besagt, dass am Ende dieser Phase die Belastung in der Regel 0 ist, unabhängig davon, wie hoch sie ursprünglich war. 

Phase 5: Verankerung

Nun wird ein positiver Gedanke betrachtet, der vorher schon erarbeitet oder neu in Erinnerung gerufen wird. Es wird geprüft, wie stimmig dieser positive Gedanke ist. Beispiele dafür wären folgende Fragen und Gedanken: "wie kann ich heute damit umgehen?", "es ist vorbei" oder "ich kann mich wehren".

Mit diesem positiven Gedanken wird nochmals gearbeitet und gegebenenfalls durch Stimulation die Wirksamkeit für den Patienten spürbar verstärkt.

Phase 6: Körper-Test

In dieser Phase der Psychotherapie bittet der Therapeut den Patienten, mit den Resten der Erinnerung in Kontakt zu treten und zu beurteilen, ob er noch Bedarf sieht, die Behandlung fortzusetzen. Falls dies der Fall ist, wird nochmals gearbeitet.

Phase 7: Abschluss

Die Behandlung wird abgeschlossen und der Patient auf eventuell auftauchende Gefühle, Träume oder Einfälle vorbereitet.

Phase 8: Nachbefragung

Nach einer Woche wird nach aufgetauchten Träumen, Erinnerungssplittern oder anderen Notwendigkeiten für das Fortführen der Therapie gesucht. In den allermeisten Fällen bleibt die Erinnerung so entlastet, wie sie am Ende der Sitzung war.

Wie sind die Erfolgsaussichten?

Nach einer erfolgreichen EMDR-Behandlung erleben die meisten Betroffenen eine entlastende Veränderung der Erinnerung. Die verbundene körperliche Erregung ist deutlich reduziert und negative Gedanken können neu und positiver umformuliert werden. Zuvor belastende Erinnerungen werden als unproblematisch erlebt.

Diese Erfolge stellen sich aber nur dann ein, wenn die Therapie von ausgebildeten Therapeuten durchgeführt wird. Dann scheint EMDR deutlich effektiver zu sein als andere vergleichbare traumaspezifische Behandlungsmethoden.

Vorteile von EMDR

Im Vergleich zu anderen Behandlungsmethoden ist EMDR bei posttraumatischen Behandlungsstörungen kürzer und für den Betroffenen weniger belastend. Erfahrungsgemäß benötigt die EMDR-Therapie 40 Prozent weniger Behandlungsstunden als andere bewährte Verfahren.

Gibt es Risiken bei der EMDR-Therapie?

Obwohl EMDR einfach erscheint, ist die hochwirksame Therapiemethode nicht ohne Risiken. Wie bei jeder anderen Form von Psychotherapie kann es in einer EMDR-Behandlung zu einem zeitweiligen Anstieg der Belastungen kommen.

Folgenden Nebenwirkungen können auftreten:

  • Es kann zum Auftauchen nicht verarbeiteter und sehr belastender Erinnerungen kommen.

  • Während der Behandlungssitzungen können die Patienten intensive Emotionen und körperliche Empfindungen wahrnehmen, die im Zusammenhang mit dem zu bearbeitenden Erlebnis stehen. Diese als "Abreaktionen" bezeichneten Reaktionen sind weder durch den Patienten noch durch den Therapeuten vorhersehbar.

  • In den ersten Stunden nach einer EMDR-Sitzung kann das Gehirn mit der Behandlung belastender Erlebnisse fortfahren. Es kann dadurch zu neu auftretenden Träumen, Erinnerungen und Gefühlen kommen, die möglicherweise sehr verstörend sind.

Nur ein Therapeut mit einer EMDR-Ausbildung kann diese Nebenwirkungen von EMDR sicher erkennen und darauf reagieren.

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