Alternativmedizinisches Verfahren

Aderlass: Wie funktioniert die Blutreinigung?

Vermutlich ist der Aderlass eine der ältesten Therapien der Welt. Blut abnehmen war in der Vergangenheit das Allheilmittel gegen viele Beschwerden. Heute hat der Aderlass vor allem in der alternativen Medizin seinen Platz, kommt etwa gegen Bluthochdruck zum Einsatz. Doch auch die Schulmedizin nutzt die Therapie gegen ganz bestimmte Krankheiten.

Aderlass
© Getty Images/mailsonpignata/500px

Geht es um Aderlass, denken die meisten, das sei eine völlig überholte und unnütze, wenn nicht gar gefährliche Therapie. Teilweise stimmt das sogar – beziehungsweise stimmte: Bis ins 19. Jahrhundert wurde der Aderlass nämlich als Allheilmittel gegen die unterschiedlichsten Krankheiten eingesetzt. Meist ließ der Bader den Patienten zur Ader. Manche Kranke bluteten durch wiederholten Aderlass richtiggehend aus.

Bei dieser übertriebenen Anwendung entstand häufig statt therapeutischem Nutzen eher Schaden. Prominentestes Opfer ist vermutlich George Washington (1732 bis 1799). Um seine starke Kehlkopfentzündung zu heilen, wurde er mehrmals massiv zur Ader gelassen. Dieser enorme Blutverlust könnte mit ein Grund sein, warum der erste Präsident der Vereinigten Staaten während der Behandlung starb.

Im Überblick:

Aderlass – eine uralte Therapie

Aderlass als "blutentziehendes Verfahren" geht auf die frühe indische Medizin zurück. Im Ayurveda gehört der Aderlass noch heute zu den gängigen Therapien. Der griechische Arzt Hippokrates (460 bis 370 v. Chr.) übernahm diese Therapieform.

Der Begründer der modernen Medizin ging davon aus, dass die meisten Krankheiten durch zu viel Blut und ein Ungleichgewicht der Körpersäfte entstehen. Die Körpersäfte setzen sich nach seiner Hypothese zusammen aus:

  • Blut,
  • gelber und
  • schwarzer Galle sowie
  • Schleim

Beeinflussbar war dabei am einfachsten die Blutmenge, und zwar mit dem Aderlass. Heute ist Allgemeinwissen, dass die These der Körpersäfte nicht zutrifft. Galle und Schleim kursieren nicht im Körper, stattdessen etwa die Lymphe.

Die Wirkungen des Aderlasses im Überblick

Einen therapeutischen Nutzen kann der Aderlass trotzdem aufweisen. Vor allem Anhänger der alternativen Medizin und Naturheilkunde schätzen diese Behandlung. Sie gehört zu den ableitenden Therapien, ähnlich wie die Blutegeltherapie oder das Baunscheidtieren.

Denn die gezielte Blutabnahme beim Aderlass soll die Selbstheilungskräfte des Körpers anregen. Um das fehlende Blut zu ersetzen, muss der Organismus neue Blutzellen bilden. Diese neuen Zellen arbeiten besser als die alten. Die positiven Wirkungen vom Aderlass sind demnach:

  • Die Fließeigenschaften des Blutes verbessern sich.
  • Das Blut kann mehr Sauerstoff aufnehmen.
  • Die Entgiftung wird angeregt.
  • Das Immunsystem arbeitet effektiver.

Aderlass gegen Bluthochdruck und Übergewicht

Wegen dieser Effekte empfiehlt die Alternativmedizin den Aderlass zur Vorbeugung und Unterstützung der Behandlung bei:

Wissenschaftliche Untersuchungen, ob Aderlass bei diesen Gesundheitsproblemen und Krankheiten hilft, gibt es allerdings kaum. Eine neuere Untersuchung zum Thema Bluthochdruck und Aderlass wurde am Immanuel Krankenhaus für Naturheilkunde in Berlin durchgeführt. Patienten mit Bluthochdruck wurden in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste unterzog sich zu Beginn und am Ende der Studie einem Aderlass, die zweite Gruppe nicht. Das Ergebnis: In der ersten Gruppe sank durch den Aderlass der Blutdruck um 16 mmHg.

Hypertonie: Hat Blutspenden einen schützenden Effekt?

In weiteren Studien soll das Ergebnis nun überprüft werden. Bestätigt sich die positive Wirkung des Aderlasses auf Bluthochdruck, könnte damit eine weitere, auch schulmedizinisch anerkannte Therapie gegen die Volkskrankheit gefunden sein. In diesem Zusammenhang wird auch diskutiert, ob regelmäßiges Blutspenden, was im Prinzip ein Aderlass ist, vor Bluthochdruck schützen kann.

Aderlass gegen zu hohe Hämatokritwerte

In der Schulmedizin wird der Aderlass bislang nur gegen wenige, seltenere Krankheiten eingesetzt, etwa gegen

  • Polycythaemia vera (PV) mit zu hohen Hämatokritwerten: Dabei ist das Blutvolumen extrem erhöht. Ursache ist eine Mutation der Stammzellen im Knochenmark, die für die Blutbildung verantwortlich sind.

  • Polyglobulie mit einer erhöhten Anzahl an roten Blutkörperchen (Erythrozyten): Nachweisbar ist dieser Zustand labortechnisch ebenfalls durch zu hohe Hämatokritwerte.

  • Hämochromatose (Eisenspeicherkrankheit): Durch einen genetischen Defekt nimmt der Darm zu viel Eisen auf. Das überlastet vor allem Leber und Herz.

Großer und kleiner Aderlass – die Durchführung

Das Blut wird immer über eine Vene entnommen, meist die Armvene in der Ellenbeuge. Je nach körperlicher Verfassung der Patienten nimmt der Arzt einen großen Aderlass vor (Blutentnahme bis zu 500 Milliliter) oder einen kleinen Aderlass (50 bis 150 Milliliter).

Zunächst wird die Einstichstelle desinfiziert, danach führt der Arzt eine Kanüle in die Vene. Über einen Schlauch fließt nun das Blut in ein Auffanggefäß. Meist dient dazu eine Unterdruck-Glasflasche. Während dieser Behandlung, die außer dem Piksen beim Einstich schmerzlos ist und rund fünf Minuten dauert, wird der Blutdruck ständig überprüft.

Nebenwirkungen und wann Aderlass gefährlich ist

Denn durch den Blutverlust kann der Blutdruck manchmal sehr stark absinken. Tritt diese Nebenwirkung beim Aderlass ein, wird die Behandlung abgebrochen. Sonst drohen Schwindel bis hin zur Ohnmacht.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich von selbst, dass Menschen mit einem zu niedrigen Blutdruck (Hypotonie) oder Blutarmut selbstverständlich auf einen Aderlass verzichten sollten. Weitere Kontraindikationen von Aderlässen sind:

Sanfter Aderlass nach Hildegard von Bingen

Eine besondere Variante der Therapie wurde nach Hildegard von Bingen (1098 bis 1197) benannt. Die heilkundige Äbtissin riet zum regelmäßigen Aderlass, um den Körper vorbeugend zu reinigen. Dabei sei der richtige Zeitpunkt wichtig: Nur zwischen dem ersten und sechsten Tag nach Vollmond, also bei abnehmendem Mond, entfalten sich demzufolge die heilsamen Kräfte in maximalem Umfang. Außerdem sollte der Patient dabei nüchtern sein (einen leeren Magen haben) und auch nach dem Aderlass für mehrere Tage Schwerverdauliches, Alkohol und Kaffee vermeiden.

Häufig wird der Aderlass nach Hildegard von Bingen auch als "sanfter Aderlass" bezeichnet, weil dabei höchstens 100 Milliliter Blut abgenommen werden.

Unblutiger Aderlass – Therapie in der Notfallmedizin

Ganz im Gegensatz zu dieser Form vom Aderlass handelt es sich beim sogenannten "unblutigen Aderlass" um eine Maßnahme in der Notfallmedizin. Letztendlich nur die Bezeichnung, nicht aber die Technik verbindet ihn mit dem gängigen Aderlass, bei dem Blut fließt. Der unblutige Aderlass wird als erste Hilfe beim Lungenödem angewandt, also einem gefährlichen Blutrückstau in den Lungengefäßen. Er bildet sich, wenn ein Teil des Herzens plötzlich nicht mehr arbeitet. Das kann etwa bei chronischer Herzinsuffizienz geschehen.

Um dann den Lungenkreislauf zu entlasten, wird mit Staubinden in drei der vier Extremitäten das Blut für mehrere Minuten zurückgehalten – also etwa an beiden Oberarmen und einem Oberschenkel. Im Gegensatz zum Aderlass fließt dabei kein Blut. Die Blutmenge nimmt jedoch gezielt in einer Region (Lunge) durch das Zurückhalten ab.

Der Aderlass hat also ein breiteres Einsatzspektrum als viele andere Therapien. Er reicht von sanfter Prävention bis zur wirkungsvollen Behandlung lebensgefährlicher Krankheiten.

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