Metamizol: Wie gefährlich ist das Schmerzmittel?
Nach höchsten wissenschaftlichen Standards verfasst und von Expert*innen geprüftMetamizol ist ein in Deutschland häufig verordnetes Schmerzmittel, dessen Einsatz jedoch wegen möglicher schwerer Nebenwirkungen umstritten ist. Wofür ist es zugelassen? Wie hoch ist unter der Anwendung das Agranulozytose-Risiko? Und mit welchen Medikamenten sollte Metamizol nicht kombiniert werden?
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Im Überblick:
- Was ist Metamizol?
- Wirkung
- Anwendung
- Kontraindikationen
- Darreichungsformen
- Dosierung
- Nebenwirkungen
- Wechselwirkungen
Was ist Metamizol?
Metamizol (auch unter den Namen Dipyron, Metamizol-Natrium oder Novaminsulfon bekannt) ist ein umstrittener Wirkstoff aus der Gruppe der Pyrazolone, die seit Ende des 19. Jahrhunderts als Schmerzmittel, Krampflöser und Fiebersenker eingesetzt werden. Der Name Metamizol leitet sich aus den Begriffen Methyl, Amino und Pyrazol ab.
Das Medikament kam 1922 auf den Markt, wurde jedoch in den 1970er-Jahren in vielen Ländern verboten, weil als Nebenwirkung vermehrt die lebensgefährliche Blutbildungsstörung Agranulozytose beobachtet worden war. In Deutschland blieb der Wirkstoff erhältlich, allerdings wurden 1987 alle metamizolhaltigen Kombinationspräparate vom Markt genommen. Monopräparate sind seitdem rezeptpflichtig und nur für streng definierte Indikationen zugelassen. Trotzdem nahmen die Verordnungszahlen in den folgenden Jahrzehnten deutlich zu, was nach Meinung von Fachleuten nur mit einem hohen Anteil an Off-Label-Nutzungen von Metamizol erklärt werden kann.
Wirkung von Metamizol
Da Metamizol lediglich schwach antientzündlich wirkt, wird es explizit nicht zur Gruppe der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) gezählt. Seine exakte Wirkweise ist noch unklar. Bekannt ist, dass das Natriumsalz von Metamizol im Organismus in seine aktive Form (4-Methylaminophenazon) umgewandelt wird, die die Produktion spezieller Gewebshormone (Prostaglandine) im zentralen Nervensystem hemmt. Auf diese Weise werden Schmerzbildung und -wahrnehmung unterdrückt.
Da der Wirkstoff das Temperaturregulationszentrum im Gehirn beeinflusst und dafür sorgt, dass verstärkt Wärme über die Haut abgegeben wird, eignet es sich auch als Fiebersenker. Die krampflösende Wirkung von Metamizol wird durch eine Hemmung der Reizweiterleitung an der glatten Muskulatur von Organen wie Magen, Darm, Galle und Harnwegen erklärt.
Wann wird Metamizol angewendet?
Metamizol hat eine schmerzstillende, fiebersenkende und krampflösende Wirkung, sollte aber wegen des Risikos lebensbedrohlicher Begleiterscheinungen nur kurzfristig angewendet werden.
Indikationen für Metamizol sind:
- akute oder chronische starke Schmerzen, zum Beispiel nach Operationen oder Verletzungen beziehungsweise wenn andere Therapien nicht wirken
- Tumorschmerzen
- Koliken (zum Beispiel der Gallen- oder Harnwege)
- hohes Fieber, das nicht mit anderen Mitteln behandelbar ist.
Da Metamizol bei gleichzeitiger Verabreichung des Opioids Morphin dessen schmerzstillende Wirkung intensiviert, wird die Kombination beider Stoffe auch zur Reduktion der Morphindosis genutzt – beispielsweise nach schweren Operationen oder bei Krebserkrankungen.
Wird Metamizol bei leichten bis mittelstarken Beschwerden (zum Beispiel Kopf-, Zahn- oder Rückenschmerzen) und/oder trotz wirksamer Alternativen als Ersttherapeutikum eingenommen, so ist dies nicht durch seine Zulassung abgedeckt (Off-Label-Nutzung).
Welche Kontraindikationen gibt es?
Nicht angewendet werden dürfen Metamizol-haltige Präparate wegen einer erhöhten Gefahr möglicher Nebenwirkungen, wenn
Allergien gegen den Wirkstoff selbst, Inhaltsstoffe des jeweiligen Präparats oder andere Medikamente bekannt sind, die Pyrazolone (Isopropylaminophenazon, Propyphenazon, Phenazon, Phenylbutazon) oder Pyrazolidine enthalten.
nach der Verabreichung anderer Schmerzmittel schon einmal allergische Symptome beobachtet wurden (zum Beispiel Ausschlag, Gesichts- und/oder Schleimhautschwellungen, Atemnot oder asthmaartige Zustände).
die Blutbildung oder das blutbildende System eingeschränkt ist.
Knochenmarksschädigungen vorliegen (beispielsweise infolge einer Chemotherapie).
eine der beiden genetisch bedingten Stoffwechselerkrankungen Glukose-6-phosphat-Dehydrogenase-(G6PD-)Mangel oder Akute hepatische Porphyrie (AHP) diagnostiziert wurde.
eine Schwangerschaft im letzten Trimester besteht (hier erhöht Metamizol das Risiko für Nierenschäden sowie für eine Verengung des im Fetalstadium noch offenen Ductus arteriosus beim Ungeborenen; im ersten Schwangerschaftsdrittel wird von einer Metamizol-Anwendung abgeraten, im zweiten Trimester ist sie nach sorgfältiger ärztlicher Nutzen-Risiko-Abwägung zulässig).
aktuell gestillt wird (da die Abbaustoffe von Metamizol in die Muttermilch übergehen, darf frühestens 48 Stunden nach der letzten Anwendung wieder gestillt werden. Davor sollte die Milch abgepumpt und vernichtet werden).
Für Säuglinge unter drei Monaten beziehungsweise mit weniger als fünf Kilogramm Körpergewicht ist das Medikament aufgrund fehlender Anwendungsdaten ebenfalls nicht zugelassen. Im Alter von drei bis elf Monaten darf es nicht intravenös verabreicht werden.
Bei Bluthochdruck (Hypertonie) oder einer instabilen Kreislaufsituation ist eine intravenöse oder intramuskuläre Injektion von Metamizol unabhängig vom Lebensalter unzulässig, da dabei eine erhöhte Schockgefahr besteht.
Darreichungsformen von Metamizol
Aufgrund seiner Wasserlöslichkeit eignet sich Metamizol unter anderem zur Herstellung flüssiger Darreichungsformen, was insbesondere im stationären Bereich Vorteile bietet: Zum einen ist dadurch eine äußerst exakte (und im Bedarfsfall hohe) Dosierung möglich, zum anderen kann der Wirkstoff so auch intravenös bei Menschen angewendet werden, die nicht in der Lage sind, Medikamente zu schlucken.
Nach Möglichkeit erfolgt die Gabe metamizolhaltiger Präparate oral (als Tabletten oder Tropfen) oder rektal (als Zäpfchen), da bei intravenöser oder intramuskulärer Injektion (parentale Verabreichung) die Wahrscheinlichkeit für Schockreaktionen steigt. Tropfen wirken am schnellsten, Zäpfchen am langsamsten. Eine intravenöse Zufuhr von Metamizol darf nur langsam und unter sorgfältiger Beobachtung von Puls, Atmung und Blutdruck erfolgen; zudem ist sie erst ab einem Lebensalter von zwölf Monaten zugelassen.
Dosierung von Metamizol
Laut Europäischer Arzneimittel-Agentur (EMA) gelten für Metamizol die folgenden Dosierungshöchstgrenzen, wobei grundsätzlich immer die niedrigste schmerz-, krampf- und fieberreduzierende Dosis gewählt werden sollte, um das Risiko von Nebenwirkungen möglichst gering zu halten. Nach Angaben des deutschen Arzneimittelverzeichnisses Gelbe Liste Pharmaindex wird Metamizol für Kinder unter zehn Jahren jedoch nicht empfohlen.
Körpergewicht/Alter | Einzeldosis | Tageshöchstdosis |
5 bis 9 Kilogramm/3 bis 12 Monate | 25-125 mg | 100-500 mg |
9 bis 15 Kilogramm / 1 bis 3 Jahre | 75-250 mg | 300-1.000 mg |
16 bis 23 Kilogramm / 4 bis 6 Jahre | 125-375 mg | 500-1.500 mg |
24 bis 30 Kilogramm / 7 bis 9 Jahre | 200-500 mg | 800-2.000 mg |
31 bis 45 Kilogramm / 10 bis 12 Jahre | 250-750 mg | 1.000-3.000 mg |
46 bis 53 Kilogramm / 13 bis 14 Jahre | 375-875 mg | 1.500-3.500 mg |
> 53 Kilogramm / ≥ 15 Jahre | 500-1.000 mg | 2.000-4.000 mg |
Welche Nebenwirkungen können durch Metamizol auftreten?
Zu den häufiger beobachteten Nebenwirkungen von Metamizol zählen:
- Abfall des Blutdrucks während oder nach der Anwendung (zum Beispiel bei hohem Fieber)
- Hautausschlag/Schleimhautreaktionen (Arzneimittelexanthem, das nach Absetzen des Medikaments in der Regel nach ein bis zwei Wochen verschwindet).
In seltenen Fällen sind auch deutlich schwerere Nebenwirkungen möglich, unter anderem:
- ausgeprägte Überempfindlichkeitsreaktionen/Allergien (zum Beispiel großflächige Hautausschläge, Schleimhautschwellungen, Juckreiz, Magen-Darm-Probleme, Übelkeit, Schwindel, Atemnot/asthmaartige Beschwerden, Abfall/Anstieg des Blutdrucks, Kreislaufschock, Herzinfarkt/Kounis-Syndrom)
- Asthmaanfälle
- akute Nierenfunktionsstörungen/-entzündungen
- Leberentzündungen/-schäden
Zudem kann Metamizol – wie andere Pyrazolone und viele weitere Schmerzmittel auch – Blutbildungsstörungen verschiedener Art auslösen, darunter Blutarmut, eine verminderte Anzahl weißer Blutkörperchen oder eine Reduktion der Blutplättchen. Besondere Beachtung findet in diesem Zusammenhang die lebensbedrohliche Agranulozytose, bei der im Blut die Zahl der Granulozyten, eine Art weißer Blutkörperchen, stark zurückgeht.
Der genaue Mechanismus hinter der Entstehung einer Agranulozytose durch den Einfluss von Metamizol ist noch nicht bekannt. Weil eine Agranulozytose das Immunsystem massiv schwächt, erkranken Betroffene häufig an schwerwiegenden Infektionen. Im schlimmsten Fall kann eine Blutvergiftung (Sepsis) mit lebensbedrohlichem Kreislaufschock beziehungsweise Organversagen auftreten.
Wie hoch ist das Agranulozytose-Risiko durch Metamizol?
Deutschlandweit werden im Schnitt jährlich rund 20 Metamizol-induzierte Agranulozytosen (MIA) gemeldet, von denen etwa jede fünfte tödlich verläuft. In Berlin wurden zwischen den Jahren 2000 und 2010 alle Krankenhauspatient*innen mit diagnostizierter Agranulozytose statistisch erfasst: Von 88 Erkrankungsfällen waren 26 auf eine Anwendung von Metamizol (Novaminsulfon) zurückzuführen (zirka 30 Prozent).
Wie kann die Gefahr einer Agranulozytose als Nebenwirkung von Metamizol minimiert werden?
Um das Agranulozytose-Risiko zu reduzieren, sollte die Einnahme von Metamizol nur nach strenger Indikationsstellung, in der niedrigsten wirksamen Dosis und über einen möglichst kurzen Zeitraum erfolgen.
Häufig werden die Folgen der Blutbildungsstörung mit einem grippalen Infekt verwechselt. Da bei vorliegender Agranulozytose ein verzögerter Behandlungsbeginn die Gefahr weiterer Komplikationen erhöht, empfiehlt die AkdÄ, Patient*innen sowie deren Angehörige/Pflegende eingehend über die Symptomatik der Erkrankung aufzuklären und bei einer längerfristigen Therapie mit Metamizol in regelmäßigen Abständen das Blutbild zu kontrollieren.
Typische Symptome einer Agranulozytose sind:
- eine generelle Verschlechterung des Allgemeinzustandes
- Abgeschlagenheit
- Fieber
- Entzündungen der Schleimhäute
- Halsschmerzen/Mandelentzündung
- (schmerzhafte) Schluckbeschwerden
- Mundgeschwüre
- Schüttelfrost
- Muskel-/Gelenkschmerzen
- Entzündungen im Genital-/Analbereich
Treten diese oder ähnliche Krankheitszeichen nach der Einnahme von Metamizol auf, muss unverzüglich medizinischer Rat eingeholt werden. Wer einmal eine Medikamenten-induzierte Agranulozytose erlitten hat, darf keine entsprechenden Wirkstoffe mehr einnehmen.
Welche Wechselwirkungen zwischen Metamizol und anderen Medikamenten sind bekannt?
Die folgenden Arzneien sollten nicht oder nur unter äußerster Vorsicht/Beobachtung gleichzeitig mit Metamizol zur Behandlung eingenommen/verabreicht werden (Stand 02/2022):
- Acetylsalicylsäure (ASS; Analgetikum): Metamizol kann den Effekt von ASS auf die Thrombozytenaggregation abschwächen. Wird ASS zur Blutverdünnung gegeben, sollte die Einnahme von Metamizol deshalb mit mindestens 30-minütigem Abstand erfolgen.
- Bupropion (Amphetamin): Metamizol kann die Aufnahme von Bupropion ins Blut hemmen.
- Chlorpromazin (Neuroleptikum): Als Wechselwirkung mit Metamizol kann es zu einer schweren Unterkühlung (Hypothermie) kommen.
- Methotrexat (MTX; Zytostatikum/Antirheumatikum): Metamizol kann den blut-/knochenmarksschädigenden Effekt von MTX verstärken.´
Wechselwirkungen mit Pyrazolonen allgemein wurden beobachtet bei:
- oralen Antikoagulanzien (Blutverdünnern)
- Captopril (ACE-Hemmer, zum Beispiel gegen Bluthochdruck oder bei Herzinsuffizienz)
- Lithium (antimanischer Wirkstoff)
- Triamteren und weiteren Diuretika (harntreibenden Wirkstoffen zur Blutdrucksenkung)
- Antihypertensiva (Blutdrucksenkern)
Inwiefern die Wirkweise der genannten Mittel konkret durch das Pyrazolon-Derivat Metamizol beeinträchtigt wird, ist noch unklar.
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