Seltene neuromuskuläre Erkrankung

Spinale Muskelatrophie (SMA): Symptome, Verlauf und Therapie

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Bei einer spinalen Muskelatrophie handelt es sich um eine Erbkrankheit. Folgen der Nervenerkrankung können unter anderem Muskelschwund oder Lähmungen sein. Mittlerweile sind Medikamente auf dem Markt, die die Lebenserwartung erhöhen können. Welche Therapien noch wichtig sind und mehr zur Ursache und Symptomen.

spinale muskelatrophie
© Getty Images/Westend61

Zirka eines von 10.000 Neugeborenen ist von der spinalen Muskelatrophie (SMA) betroffen. Die Nervenerkrankung kann sich in jedem Alter bemerkbar machen, wird aber meistens schon im Säuglingsalter erkannt. Die Sinneswahrnehmung sowie der Intellekt zeigen bei Menschen mit einer spinalen Muskelatrophie keine Veränderungen.

Überblick:

Was ist die spinale Muskelatrophie?

Bei der spinalen Muskelatrophie kommt es im Laufe der Zeit zu defekten Motoneuronen im Rückenmark. Motoneuronen sind wichtig, um willkürliche Bewegungen wie Krabbeln oder Laufen zu steuern. Sie leiten Impulse an den Muskel weiter, der diese dann in Bewegung umsetzt. Bei ungefähr 80 bis 90 Prozent der Betroffenen liegt die proximale SMA vor. Sie zeichnet sich durch einen Gendefekt am Chromosom q5 aus. Eine Mutation des SMN1 Gens (Survival Motor Neuron) führt zu einer fehlenden Produktion des SMN-Proteins, welches für die Erhaltung der motorischen Nerven essenziell ist.

Das Krankheitsbild der SMA beginnt meist mit einer Schwäche der körpernahen (proximalen) Muskulatur wie den Oberschenkeln und der Hüfte, dem Schultergürtel sowie den Armen und wird in vier Typen (SMA Typ 1 bis 4) eingeteilt.

Symptome der spinalen Muskelatrophie

Das Hauptanzeichen der spinalen Muskelatrophie ist allgemein eine schwache Muskulatur. Die fehlenden Impulse des Motoneurons führen quasi zu einem Stillstand der Muskelzellen, was die Muskelschwäche begünstigt. Dadurch sind folgende Symptome der spinalen Muskelatrophie möglich:

  • Muskelschwund (Muskelatrophie)
  • Lähmung (Parese)
  • verminderte Muskelspannung (Muskelhypotonie)

Einen Muskelschwund merkt man oft schon bei kleinen alltäglichen Dingen. Fällt es plötzlich schwer, Treppen zu steigen oder treten Schluckstörungen auf, sollte eine ärztliche Abklärung erfolgen. Sinneswahrnehmungen wie Sehen, Hören oder Fühlen genauso wie der Intellekt sind nicht von der SMA betroffen. Je nach Verlaufstyp können weitere unterschiedliche Symptome der spinalen Muskelatrophie auftreten:

  • Spinale Muskelatrophie Typ 1 (SMA Typ 1): Diese Variante der Erkrankung ist auch als Werdnig-Hoffmann-Erkrankung oder juvenile SMA bekannt. Sie beginnt in den ersten sechs Lebensmonaten, wird aber meist bereits vor dem dritten Lebensmonat erkannt. Säuglinge mit SMA Typ 1 sind nicht in der Lage, den Kopf zu heben oder zu sitzen. Schlucken fällt ihnen ab einem gewissen Grad schwer. Auch die Zwischenrippenmuskulatur ist unter Umständen betroffen, wodurch die Brust eingesunken erscheinen kann. Dies liegt an der Tatsache, dass lediglich das Zwerchfell den Atemvorgang übernimmt.

  • Spinale Muskelatrophie Typ 2 (SMA Typ 2): SMA Typ 2 oder auch chronisch infantile SMA diagnostizieren Mediziner*innen in der Regel vor dem 18. Lebensmonat. Betroffene Kinder können zwar sitzen und mit Hilfe manchmal auch stehen, sind jedoch nicht fähig zu laufen. Schluckprobleme treten in der Regel nicht auf. Möglicherweise benötigen Betroffene Hilfe bei der Nahrungsaufnahme mittels einer Nahrungssonde. Außerdem können ein leichtes Zittern der ausgestreckten Finger, Schwierigkeiten beim Abhusten und nächtlichen Atmen als Symptome der spinalen Muskelatrophie vorkommen. Eine Skoliose entwickelt sich sehr oft während des Wachstums. Eine verminderte Knochendichte ist zudem möglich.

  • Spinale Muskelatrophie Typ 3 (SMA Typ 3): Die Kugelberg-Welander-Erkrankung oder juvenile SMA kann vor (Typ 3a) oder nach (Typ 3b) des dritten Lebensjahres deutlich werden. Kinder mit der Erkrankung sind oft in der Lage zu laufen, benötigen aber eventuell Unterstützung. Die Lebenserwartung ist kaum reduziert. Ebenso ist ein leichtes Zittern der ausgestreckten Finger möglich. Schwierigkeiten beim Essen oder Schlucken kommen sehr selten vor.

  • Spinale Muskelatrophie Typ 4 (SMA Typ 4): Die adulte SMA beginnt im Erwachsenenalter. Der Krankheitsverlauf kann bei SMA Typ 4 unterschiedlich sein, die Lebenserwartung ist nicht beeinträchtigt. Atem- und Schluckmuskulatur sind nur selten betroffen. Die Abnahme der Muskelfunktion schreitet ansonsten langsam im Verlauf der Erkrankung voran.

Menschen mit spinaler Muskelatrophie verlieren entweder sehr langsam bestimmte Körperfunktionen oder plötzlich durch eine andere Erkrankung oder einen Wachstumsschub. Mit zunehmendem Alter steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass immer mehr Muskeln betroffen sind.

Wie erfolgt die Diagnose einer SMA?

Seit Dezember 2020 ist bekannt, dass in Deutschland ein Neugeborenen-Screening (NBS) auf SMA eingeführt wird – Mitte 2021 soll dies möglich sein. Auch die Erstattung der Kosten durch die Krankenkassen ist geplant. Lediglich ein Tropfen Blut aus der Ferse des Babys ist nötig, um das Blut im Labor auf angeborene Stoffwechselerkrankungen und endokrine Störungen zu testen. Eine spinale Muskelatrophie kann so früh erkannt und eine Behandlung eingeleitet werden.

Ansonsten kann jederzeit über eine Blutentnahme eine Analyse auf SMA erfolgen. Spezialisierte Labore finden über molekulardiagnostische Verfahren die Abwesenheit des SMN1-Gens heraus und können die Anzahl der SMN2-Genkopien feststellen. Diese geben meist Aufschluss über die Schwere der Erkrankung. Zwar stellt das SMN2-Gen lange nicht so viel SMN-Protein her wie das SMN1-Gen, dennoch kann es den Mangel durch den Gendefekt etwas kompensieren. Je mehr Kopien vom SMN2-Gen vorliegen, desto mehr SMN-Protein steht dem Körper zur Verfügung und der Verfall der Motoneuronen geschieht langsamer.

Ob eine Untersuchung auf spinale Muskelatrophie notwendig ist, entscheidet der*die Arzt*Ärztin. Dafür wird im Anamnesegespräch über verschiedene Details gesprochen. Welche Symptome treten auf und wie lange bestehen diese schon? Gibt es in der Familie Erbkrankheiten? Wann sind körperliche Veränderungen das erste Mal vorgekommen? Solche und ähnliche Fragen gilt es im Vorfeld zu klären.

Wie verläuft die Therapie bei spinaler Muskelatrophie?

Eine spinale Muskelatrophie kann bei Betroffenen unterschiedlich verlaufen. Aus diesem Grund ist es wichtig, verschiedene Fachbereiche in die Behandlung der Erkrankung mit einzubeziehen. Welches interdisziplinäre Team bei der Therapie unterstützt, hängt von den Symptomen beziehungsweise beeinträchtigten Organen und Funktionen ab. Folgende Fachbereiche können helfen:

  • Atempflege
  • Gastroenterologie und Diätetik
  • Orthopädie
  • Physiotherapie und Ergotherapie
  • genetische Beratung

Spezialisierte neuromuskuläre Kliniken sollten nach der Diagnose SMA erste Anlaufstelle sein. Zudem ist der Kontakt mit Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen hilfreich.

Medikamente bei SMA

Zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie sind mittlerweile einige Medikamente auf dem Markt. Ob der Einsatz der Präparate möglich ist, hängt von Schwere und Genetik der Erkrankung ab. Seit 2017 gibt es ein Medikament, das bei SMA mit Veränderung auf Chromosom q5 verwendet werden darf. Es beeinflusst die vorhandenen SMN2-Gensequenzen, die dadurch mehr funktionsfähiges SMN-Protein herstellen. Das Medikament muss regelmäßig durch eine Lumbalpunktion in den Lumbalkanal auf Höhe der Lendenwirbelsäule gespritzt werden.

Ein weiteres SMA-Medikament kann intravenös verabreicht werden, ist aber abhängig vom Körpergewicht und wird nur bis zirka 14 Kilogramm eingesetzt. Generell ist die Wirkung vor Auftreten der ersten Symptome am besten. Zu dem Zeitpunkt sind in der Regel noch keine Motoneuronen beschädigt. Bereits defekte Nervenzellen sind wahrscheinlich nach aktuellem Stand der Forschung nicht heilbar.

Physiotherapie und Rehabilitation

Menschen mit spinaler Muskelatrophie leiden oft an versteiften Gelenken, die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen mit sich bringen können. Durch Dehnung, spezielle Übungen und Hilfsmittel wie Stützapparate soll individuell Besserung verschafft werden. Angehörige lernen außerdem, wie sie die erkrankte Person richtig positionieren können und wie sich der Alltag am besten gestalten lässt.

Orthopädische Versorgung

Eine Muskelschwäche im Bereich der Wirbelsäule führt bei spinaler Muskelatrophie ohne Unterstützung meist zu einer Verkrümmung der Wirbelsäule (Skoliose oder Kyphose). Schätzungsweise entwickeln 60 bis 90 Prozent der nicht sitzfähigen und sitzfähigen (aber nicht gehfähigen) Personen eine Wirbelsäulenverkrümmung. Bei zirka 50 Prozent der Betroffenen, die gehfähig sind, ist dies ebenfalls der Fall. Um dies zu vermeiden, werden häufig Orthesen eingesetzt, die den Rumpf stützen. Ist die Verkrümmung weit fortgeschritten, kann eine Operation nötig sein, die die Wirbelsäule begradigt.

Spinale Muskelatrophie: Verlauf und Lebenserwartung

Die Lebenserwartung bei Patienten mit spinaler Muskelatrophie ist abhängig von der Form. Bei Säuglingen zählt SMA Typ 1 Studien zufolge zu den häufigsten genetischen Todesursachen. Bei betroffenen Menschen mit SMA Typ 2 besteht eine Überlebensrate von über 90 Prozent nach zehn Jahren. Menschen mit Typ 3 haben nahezu keine reduzierte Lebenserwartung und Betroffene mit Typ 4 besitzen eine normale Lebenserwartung. Heilbar ist die spinale Muskelatrophie jedoch nicht. Die Lebenserwartung sowie die Lebensqualität kann aber mit einer entsprechenden Behandlung verbessert werden.

Ist eine SMA vererbbar?

Damit bei einem Menschen die Erkrankung ausbrechen kann, muss jeweils eine defekte Kopie von einem Elternteil vererbt werden. Tragen also beide Elternteile ein defektes SMN1-Gen, besteht für das Kind ein Risiko von 25 Prozent, diese beiden Varianten zu erhalten und an SMA zu erkranken. Gibt zum Beispiel die Mutter ein defektes und der Vater ein intaktes SMN-Gen an das Kind weiter, wird sich keine spinale Muskelatrophie ausbilden. Bei einer SMA liegt demnach ein autosomal-rezessiver Erbgang vor.

In sehr seltenen Fällen kann die Form SMA Typ IV, die erst im Erwachsenenalter ausbricht, autosomal-dominant vererbt werden. Das bedeutet, dass die Weitergabe der Erkrankung an die Nachkommen wahrscheinlicher ist. So reicht es aus, wenn beispielsweise der Vater ein defektes Gen an das Kind weitergibt, damit dieses an SMA erkrankt.

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