SIBO (Dünndarmfehlbesiedlung): Darmbakterien am falschen Ort
Bei SIBO, auch Dünndarmfehlbesiedlung genannt, verursachen Bakterien im Dünndarm Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Durchfall und Bauchschmerzen. Die Erkrankung bleibt oft unentdeckt, dabei sind vor allem Menschen mit Reizdarm häufig betroffen. Wie wird eine bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms festgestellt?
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Kurzübersicht
Definition: SIBO ist die Abkürzung für "small intestinal bacterial overgrowth" und bezeichnet eine bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms
Ursachen: Verminderte Darmbewegung, anatomische Veränderungen des Magendarmtraktes (etwa infolge einer Operation), verminderte Produktion von Magensäure, akute Magen-Darm-Infekt, Lebensmittelvergiftung
Symptome: Häufig sind Blähungen, Bauchschmerzen, Stuhlveränderungen, Müdigkeit und Konzentrationsstörungen (Brain Fog)
Diagnose:Atemtests, Dünndarmaspiration, Ausschluss anderer Magen-Darm-Erkrankungen
Therapie:Einsatz von klassischen und pflanzlichen Antibiotika, Nahrungsumstellung und Behandlung von Grunderkrankungen
Etwa 17 Prozent der deutschen Bevölkerung leidet an einem sogenannten Reizdarm. Die Ausschlussdiagnose wird bei unerklärlichen Magen-Darm-Beschwerden gestellt, wenn Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen ausgeschlossen werden können. Betroffene werden häufig mit psychischen Erklärungen vertröstet. Dabei könnte in zwei Drittel der Fälle eine Dünndarmfehlbesiedlung vorliegen. Was steckt dahinter und welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Artikelinhalte im Überblick:
Was ist SIBO?
Bei SIBO ("small intestinal bacterial overgrowth"), handelt es sich um eine Erkrankung, bei der es zu einer übermäßigen Besiedlung des Dünndarms mit Bakterien kommt. Weitere Bezeichnungen sind auch Dünndarmfehlbesiedlung (DDFB), bakterielle Überwucherung oder Overgrowth-Syndrom.
Während sich im Dickdarm viele Bakterien tummeln, befinden sich im Dünndarm normalerweise nur wenige Keime. Bei Menschen mit SIBO ist das anders: Bei ihnen kann eine übermäßige Menge an "fehlgeleiteten" Darmbakterien im Dünndarm festgestellt werden. Diese zerlegen die noch nicht aufgenommenen Nahrungsbestandteile und schädigen langfristig die Darmschleimhaut.
Das führt auf Dauer zu einem Nährstoffmangel (etwa Vitamin B12, Vitamin D oder Eisen) und Nahrungsmittelallergien. Beim Abbau von Kohlenhydraten entstehen zudem Gase und andere toxische Abbauprodukte, die SIBO-typische Verdauungsbeschwerden und chronische Entzündungen auslösen. Ein Mangel an fettlöslichen Vitaminen kann zudem Probleme der Fettverdauung zur Folge haben.
SIBO-Symptome: Woran lässt sich eine Dünndarmfehlbesiedlung erkennen?
Eine bakterielle Fehlbesiedlung des Dünndarms geht mit vielen verschiedenen Beschwerden einher. Zu den Symptomen gehören beispielsweise:
- Blähbauch
- Häufiges Aufstoßen
- Bauchschmerzen
- Durchfall
- Verstopfung
- Kopfschmerzen
- Konzentrationsstörungen ("Brain Fog")
- Müdigkeit
- Unverdaute Nahrungsbestandteile im Stuhl
Die Beschwerden treten gewöhnlich ein bis zwei Stunden nach der Mahlzeit auf und bessern sich, wenn Betroffene längere Zeit nichts essen. Dementsprechend geht es Patient*innen morgens am besten, im Tagesverlauf nehmen die Beschwerden in der Regel zu. Vor allem kohlenhydratreiche Speisen wie Pasta oder Pizza können die Symptome verstärken.
Wie entsteht eine Dünndarmfehlbesiedlung?
Der Dünndarm ist bei gesunden Menschen fast keimarm. Das stellt der Körper durch die Magensäure und die regelmäßigen Muskelkontraktionen, die den Darminhalt weiterbewegen und somit reinigen, sicher. Zudem sorgt die Ileozökalklappe (Bauhin´sche Klappe), die Dünn- und Dickdarm voneinander trennt, dafür, dass Bakterien vom Dickdarm normalerweise nicht zurück in den Dünndarm gelangen. Bei SIBO ist einer oder mehrere dieser Schutzmechanismen gestört.
Mögliche Ursachen dafür können sein:
- Operationen im Magen-Darm-Trakt
- Medikamente, die die Magensäure verringern (z. B. Protonenpumpenhemmer)
- Akute Magen-Darm-Infekte
- Mangel an Verdauungssekreten
- Hormonelle Störungen
- Lebensmittelvergiftungen
Darüber hinaus wird SIBO mit Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus, Zöliakie, Divertikulose, Morbus Crohn, Schilddrüsenunterfunktion sowie Erkrankungen der Gallenwege, der Bauchspeicheldrüse oder des Bindegewebes (Sklerodermie, Ehler-Danlos-Syndrom) in Zusammenhang gebracht.
Diagnose bei Dünndarmfehlbesiedlung: Test zur Feststellung von SIBO
Meist wird zur Diagnose von SIBO ein Atemtest eingesetzt, bei dem der*die Patient*in nach einer einwöchig angepassten Ernährung eine Zuckerlösung trinkt und über drei Stunden lang alle 20 Minuten Atemproben abgibt. Die Bakterien produzieren beim Abbau der Lösung Gase, die in die Blutbahn gelangen und über die Lunge abgeatmet werden.
Die Atemtests können in Praxen und Kliniken durchgeführt werden. Alternativ gibt es auch Testkits für Zuhause, die online erhältlich sind und zwischen 90 bis 130 Euro kosten. Diese ersetzen allerdings keine ärztliche Diagnose.
Zur Feststellung stehen zwei Tests zur Verfügung:
Glukose-Atemtest: Glukose wird im oberen Dünndarmabschnitt verstoffwechselt, weshalb mit dem Test nur eine Fehlbesiedlung im oberen Teil des Dünndarms festgestellt werden kann.
Lactulose-Test: Lactulose passiert den gesamten Darm. Es kann ein bakterielles Wachstum im gesamten Dünndarm diagnostiziert werden.
Bisher gibt es noch keinen offiziellen Standard für die Diagnose einer Dünndarmfehlbesiedlung, weshalb die Interpretationen der Ergebnisse zum Teil stark variieren.
Weitere Diagnosemöglichkeit bei Verdacht auf SIBO
In der Theorie wäre die beste Möglichkeit zur Feststellung einer bakteriellen Fehlbesiedlung die Entnahme einer Probe (Aspirat) aus dem Dünndarm (Jejunum) über einen biegsamen Schlauch (Endoskopie). Da die bakterielle Überwucherung im Dünndarm allerdings unregelmäßig verteilt sein kann, lassen sich die Bakterien bei einer einzelnen Untersuchung möglicherweise nicht erkennen – das gilt vor allem dann, wenn die Überwucherung auf einen schwer zugänglichen Bereich wie die sogenannte Blindschlaufe beschränkt ist. Da die Methode recht aufwendig und für Betroffene unangenehm ist, wird sie in der Praxis eher selten durchgeführt.
Die verschiedenen SIBO-Arten
Je nach Art des beim Atemtest festgestellten Gases, werden verschiedene SIBO-Arten unterschieden:
Wasserstoffdominante SIBO: Wurde am stärksten Wasserstoff nachgewiesen, sprechen Fachleute von einer wasserstoffdominanten SIBO.
Methandominante SIBO oder IMO: Wird vermehrt Methan ausgeatmet, ist von einer methandominanten SIBO die Rede. Da es sich bei dieser Form genau genommen aber nicht um Bakterien, sondern Archaeen (kleine einzellige Mikroorganismen) handelt, bezeichnen Expert*innen diese Art der Fehlbesiedlung auch als IMO (intestinal methanogen overgrowth).
Schwefelwasserstoff-SIBO: Ist kein Gasanstieg feststellbar, kann dies ein Hinweis auf die dritte Form, die Schwefelwasserstoff-SIBO, sein. In Deutschland gibt es bisher noch keinen Test, der direkt Schwefelwasserstoff aus der Atemluft feststellen kann.
Mit den verschiedenen Arten unterscheiden sich auch die Symptome. Während Patient*innen mit Methandominanz vor allem an Verstopfung leiden, kommt es bei der wasserstoffdominanten Form vor allem zu Durchfall. Bei der Schwefelwasserstoff-SIBO berichten Betroffene öfter über Brain Fog, also ein unklares Denkvermögen, sowie Blähungen, die mit einem Geruch nach faulen Eiern einhergehen.
Therapie: Was hilft bei SIBO?
Die Behandlung bei SIBO richtet sich nach der Art der Fehlbesiedlung und muss individuell angepasst werden. In der Regel besteht die Therapie aus vier Säulen:
- Behandlung der Grunderkrankung
- Abtöten der Bakterien
- Ernährungstherapie
- Symptomlinderung
Liegt eine Grunderkrankung vor, etwa eine Schilddrüsenunterfunktion oder Motilitätsstörung, sollte zunächst diese behandelt werden.
Zur Reduktion der im Dünndarm nachgewiesenen Bakterien kommen synthetische Antibiotika (wie Rifaximin) oder pflanzliche Wirkstoffe mit antibiotischer Wirkung (wie beispielsweise Oregano-Öl oder ein Knoblauchextrakt) zum Einsatz. Die Wahl der Mittel sollte sich dabei stets an dem jeweiligen SIBO-Typ orientieren. Meistens genügt die Einnahmedauer von sieben bis zehn Tagen, manche Patient*innen benötigen aber eine längere Therapie.
Unter Umständen können auch Probiotika verschrieben werden. Dabei handelt es sich um lebende Mikroorganismen, die eine gesundheitsfördernde Wirkung auf den Darm haben sollen. Allerdings sind Studien zum Nutzen bei SIBO begrenzt.
Zur Linderung akuter Symptome wie Durchfall oder Verstopfung können Ärzt*innen zudem weitere Arzneimittel oder pflanzliche Präparate verschreiben. Auch alternative Therapien wie Hypnose für den Darm können die Behandlung ergänzen.
Welche Ernährung bei SIBO?
Eine zentrale Rolle bei SIBO spielt die Ernährung. Um den Bakterien ihre Nahrungsquelle zu entziehen, wird meist empfohlen, fermentierte Kohlenhydrate zu reduzieren. Dafür kommen verschiedene Ernährungsformen infrage, etwa:
- FODMAP-Diät
- Spezifische Kohlenhydrat-Diät (SCD)
- SIBO-spezifische Ernährungsrichtlinien (SSFG)
- Zwei-Phasen-Diät (bi-phasic diet/BPD)
Bei allen diätischen Behandlungsansätzen soll die Zufuhr fermentierter Kohlenhydrate und Saccharide (Zuckerverbindungen) reduziert werden. Das bedeutet, dass Betroffene vor allem Stärke und Zucker meiden sollten.
Nicht empfohlen Lebensmittel bei SIBO
- Getreide (zum Beispiel Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Reis) und daraus hergestellte Lebensmittel wie Nudeln, helles Brot
- Laktosehaltige Milch, Joghurt und Frischkäse
- Stärkehaltige Gemüsesorten wie Kartoffeln
- Süßigkeiten und andere zuckerhaltige Speisen
Zwischen den einzelnen Mahlzeiten sollten am besten Pausen von vier bis fünf Stunden eingehalten werden, damit der Darm ausreichend Zeit hat, in den Verdauungsmodus zu schalten. Bewegung an der frischen Luft und Bitterstoffe, etwa aus frisch gebrühtem Kaffee, regen die Sekretion von Verdauungssäften an.
Bislang existieren zwar noch keine klinischen Studien zu den diätetischen Ansätzen, dennoch führt eine Ernährungsumstellung bei vielen Betroffenen zu einer Besserung der Beschwerden. Um herauszufinden, welche Lebensmittel gut oder schlecht vertragen werden, können SIBO-Patient*innen ein Ernährungstagebuch führen. Darüber hinaus kann eine Ernährungsberatung hilfreich sein, bei der ein individueller Ernährungsplan für Betroffene erarbeitet wird. Hierbei sollte berücksichtigt werden, dass trotz Ernährungsumstellung genügend Kalorien zugeführt werden, um einen ungewollten Gewichtsverlust zu verhindern. Ebenso ist darauf zu achten, genügend Nährstoffe aufzunehmen.
Verlauf und Prognose bei SIBO
Bei SIBO handelt es sich um ein häufiges, aber noch recht unbekanntes und komplexes Krankheitsbild. Dementsprechend lange dauert es mitunter, bis Patient*innen eine Diagnose gestellt bekommen. Das liegt auch daran, dass die Abgrenzung zu funktionellen Beschwerden oft schwierig ist und es bisher noch keine Standardverfahren zur Diagnose und Therapie der Fehlbesiedlung gibt.
Wurde die Diagnose gestellt, stehen verschiedene Behandlungsansätze zur Verfügung. Die Prognose hängt überwiegend davon ab, wie gut die zugrunde liegende Erkrankung therapiert werden kann und wirksame Antibiotika gefunden werden. Zudem kommt es auch nach Besserung der Beschwerden in vielen Fällen (etwa 60 Prozent) zu einem Rückfall.
Die gute Nachricht ist, dass die Forschung zu dem Thema Darmfehlbesiedlung in den letzten Jahren zugenommen hat und sich immer mehr Studien damit beschäftigen. Das American College of Gastroenterology (ACG) hat 2020 zudem eine evidenzbasierte Leitlinie mit Empfehlungen zur Diagnose und Therapie veröffentlicht.
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