Savant-Syndrom: Seltene Inselbegabung
Sie rechnen schneller als Computer oder zeichnen Stadtpläne aus dem Gedächtnis: Menschen mit Savant-Syndrom verfügen über außergewöhnliche intellektuelle oder künstlerische Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich, sind aber oft hilfsbedürftig und behindert. Was ist über das rätselhafte Phänomen bisher bekannt?
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Bekanntestes Beispiel für einen Menschen mit Savant-Syndrom ist der von Dustin Hoffman gespielte "Rain Man" in dem gleichnamigen Film. Er basiert auf der Geschichte des Inselbegabten Kim Peek, der sich in Sekunden ganze Buchseiten merken und bereits mit vier Jahren den Inhalt ganzer Lexikonbänder wiedergeben konnte.
Im Überblick:
Was ist das Savant-Syndrom?
Das Savant-Syndrom ist keine Krankheit, sondern ein Phänomen, das überwiegend bei Menschen mit geistiger Behinderung oder Entwicklungsstörungen (wie Autismus) auftritt. Menschen mit Savant-Syndrom verfügen über herausragende Fähigkeiten in einem speziellen Teilbereich – sie können beispielsweise hochkomplexe Klavierstücke nach einmaligem Hören fehlerfrei nachspielen, fünfstellige Zahlen im Kopf multiplizieren oder bereits in sehr jungen Jahren den Wochentag zu jedem beliebigen Datum nennen.
Der Name für das Syndrom stammt vom französischen Wort "Savant" für "Wissende". Im deutschsprachigen Raum hat sich die treffendere Bezeichnung "Inselbegabung" durchgesetzt.
Formen des Savant-Syndroms
Nach dem Autismus-Forscher Darold Treffert werden heute zwei Formen des Savant-Syndroms unterschieden:
Erstaunliche Savants sind Menschen mit herausragenden Fähigkeiten, die auch für nicht beeinträchtigte Menschen bemerkenswert wären. Von ihnen sind weltweit nur circa 100 Fälle bekannt.
Talentierte Savants sind Menschen, die in einem bestimmten Teilbereich über ein durchschnittliches Leistungsvermögen verfügen. In Anbetracht ihrer Behinderung gilt dieses jedoch als Inselbegabung.
Etwa 50 Prozent der Menschen mit Savant-Syndrom haben Autismus, die anderen 50 Prozent eine neurologische Beeinträchtigung. Bei zirka 70 Prozent aller Menschen mit Savant-Syndrom liegt der Intelligenzquotient (IQ) unter 70, es gibt aber auch Savants mit einem IQ über 140. Zum Vergleich: Die Mehrheit der Menschen hat einen IQ im Bereich zwischen 85 und 115. Männer weisen das Savant-Syndrom vier- bis sechsmal häufiger als Frauen auf.
Die Ursachen des Savant-Syndroms
Bis heute sind die Ursachen für die Ausbildung eines Savant-Syndroms nicht eindeutig bekannt, diverse Theorien versuchen das Phänomen zu erklären.
In verschiedenen Studien wurde jedoch ein Zusammenhang zwischen Verletzungen in der linken Hirnhälfte und dem Auftreten des Savant-Syndroms festgestellt: Es scheint, als ob die rechte Hirnhälfte diesen Ausfall kompensiert. Denn ein Großteil der Savants fällt durch Begabungen auf, welche die rechte Hirnhälfte betreffen. Grund für die Verletzungen der linken Hirnhälfte sind manchmal
- Unfälle,
- Demenz oder
- Schlaganfälle.
Es gibt einige Fälle, in denen Menschen nach einer Kopfverletzung plötzlich zu außergewöhnlichen Leistungen imstande waren.
Studien zeigen zudem, dass viele autistische Menschen Veränderungen in der linken Hirnhälfte zeigen. Forschende gehen davon aus, dass ein erhöhter Testosteronspiegel während der Schwangerschaft zu Entwicklungstörungen der linken Hirnhälfte führen kann – was auch die Erklärung für den deutlichen höheren Männer-Anteil an Menschen mit Savant-Syndrom sein könnte.
Symptome: So zeigt sich das Savant-Syndrom
Menschen mit Savant-Syndrom fallen durch außergewöhnliche Leistungen in einem bestimmten Gebiet auf. Meist liegt die besondere Begabung in einem dieser Bereiche:
- Musik
- Kunst
- kalendarische Berechnungen
- Rechnen
- mechanische und räumliche Fähigkeiten
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich oft, dass die vermeintlichen Rechenkünste tatsächlich eine extreme Gedächtnisleistung sind. Denn auch in Bezug auf das Erinnerungsvermögen, den Erwerb von Fremdsprachen, das Zeitgefühl, den Geruchs-, Tast- und Sehsinn zeigen viele Inselbegabte erstaunliche Fähigkeiten.
Gleichzeitig haben Menschen mit Savant-Syndrom oft große Probleme bei der Alltagsbewältigung: In vielen Fällen sind sie motorisch, geistig und sozial eingeschränkt.
So wird das Savant-Syndrom festgestellt und behandelt
Da es sich beim Savant-Syndrom nicht um eine Krankheit handelt, gibt es keine speziellen Untersuchungsmethoden, um eine entsprechende Diagnose zu stellen. Auch eine konkrete Therapie ist nicht vorhanden.
Menschen mit Savant-Syndrom fallen in der Regel durch ihre besonderen Begabungen auf – ein IQ-Test kann hier Aufschluss geben. Es hat sich bewährt, diese speziellen Talente zu fördern und Betroffenen Raum für deren Ausleben zu geben – so kann die Inselbegabung den Selbstwert stärken, Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen und nebenbei den Erwerb lebenspraktischer Fähigkeiten erleichtern.
Die Prognose beim Savant-Syndrom
Das Savant-Syndrom lässt sich weder behandeln noch heilen. In den meisten Fällen ist das auch gar nicht erwünscht. Das Syndrom hat – abgesehen von der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Savants mit ihrer Begabung oft erregen – keine Auswirkungen auf die Lebensqualität oder Lebenserwartung der Betroffenen. Welche Unterstützungsleistungen hilfreich sind, hängt stark von der eventuell vorliegenden geistigen Behinderung oder Entwicklungsstörung des Einzelnen ab.
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