Was sind Narzissmus und eine narzisstische Persönlichkeitsstörung?
Narzisstische Menschen gelten als selbstverliebt und wollen gerne im Mittelpunkt stehen. Doch es gibt einen Unterschied zwischen einem gesunden Narzissmus und seiner krankhaften Form, der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Was bedeutet das?
- © Getty Images/Westend61
Betrachtet man narzisstische Charakterzüge, muss der gesunde (subklinische) Narzissmus von seiner krankhaften Form, der narzisstischen Persönlichkeitsstörung, abgegrenzt werden. Der Übergang ist fließend und lässt sich nicht so einfach feststellen.
Hinweis: Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Artikel ausnahmsweise die männliche Form "Narzisst" für alle Geschlechter verwendet.
Artikelinhalte im Überblick:
Definition: Was ist Narzissmus?
Mangelnde Empathie, Egoismus, Selbstüberschätzung oder eine überhöhte Anspruchshaltung: Narzissmus und seine krankhafte Ausprägung, die narzisstische Persönlichkeitsstörung, äußern sich durch viele verschiedene Anzeichen. Dem zugrunde liegt eine starke Selbstunsicherheit, die mit verstärkter Kränkbarkeit einhergeht – von vielen narzisstischen Menschen wird sie jedoch mit Übersteigerung und Selbstdarstellung bekämpft.
Wer dann zu wenig zwischenmenschliche Akzeptanz erfährt, kann in einen Teufelskreis geraten: Eine neuerliche Überkompensation soll das brüchige Selbstwertgefühl stabilisieren. Dies kann bereits der narzisstischen Persönlichkeitsstörung entsprechen.
Der Begriff Narzissmus leitet sich vom griechischen Mythos um einen Jüngling namens Narziss (Narcissus) ab, den Ovid in seinen "Metamorphosen" erzählt. Der gutaussehende Narziss wird von Männern und Frauen umworben. Er ist allerdings von sich und seinem Aussehen derart überzeugt, dass er niemanden für gut genug befindet. Ein gekränkter Bewerber lässt Narziss verfluchen: Der junge Mann verliebt sich unglücklich in sein eigenes Spiegelbild und stirbt schließlich vor Kummer über die unerfüllbare Liebe zu seinem Ebenbild.
Unterschied zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Beim krankhaften (pathologischen) Narzissmus ist die nach außen präsentierte Selbstsicherheit oftmals nur scheinbar vorhanden. Stattdessen schwanken betroffene Menschen zwischen übertriebenem Größenselbst und extremen Gefühlen oder Ängsten, klein und unbedeutend zu sein. Von diesen Ängsten bekommt die Umwelt häufig wenig mit, weil sie mit einer grandiosen Selbstinszenierung überspielt wird.
Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist selten, meist sind Männer betroffen. Der krankhafte Narzissmus beginnt oft im frühen Erwachsenenalter. Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung messen der Bewunderung durch Mitmenschen eine immense Bedeutung bei. Wenn die Anerkennung des Umfelds aber ausbleibt, können sie in schwere Krisen geraten:
- Schwierigkeiten in Beziehungen und Partnerschaft
- Probleme in der Arbeit oder Schule
- Depression
- Drogensucht oder Alkoholmissbrauch
- Suizidgedanken oder suizidales Verhalten
Solche Krisen sind meist der Anlass, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Verdeckter und weiblicher Narzissmus
Als Sonderform gilt der verdeckte Narzissmus, der häufig bei Frauen vorkommt und deshalb auch als weiblicher Narzissmus bezeichnet wird. Fachleuten zufolge leiden viele Frauen an typischen narzisstischen Merkmalen: Sie versuchen ihr schwaches Selbstwertgefühl über Schlanksein, Attraktivität, Leistung und Perfektionismus auszugleichen.
Nach außen geben sich die Narzisstinnen selbstbewusst. In der Partnerschaft oder anderen nahen Beziehungen kommen die Minderwertigkeitskomplexe dafür umso stärker zum Vorschein. Frauen mit einer narzisstischen Persönlichkeit haben häufig Angst, nicht geliebt zu werden und klammern sich an den*die Partner*in, schrecken jedoch vor dieser Nähe zugleich ängstlich zurück. Die eigenen Bedürfnisse werden in der Partnerschaft abgewertet, genauso die Gefühle des*der Partners*in. Denn ein typisches Symptom beim verdeckten Narzissmus ist ein Mangel an Empathie.
© FUNKE Digital Video
Narzissmus mit Test feststellen?
Es existieren viele Selbsttests zum Thema Narzissmus. Auch Psycholog*innen haben diverse Fragebögen entwickelt, mit der narzisstische Persönlichkeiten festgestellt werden können:
NPI-40 (Narcissistic Personality Inventory): Der renommierte Test mit 40 Fragen dient als Hilfsmittel für psychologische Forschungen, um den normalen Narzissmus zu messen.
16 Fragen (NPI-16): Die gekürzte Version wird ebenfalls in der Wissenschaft verwendet.
Mittlerweile soll sogar ein Test mit nur einer Frage Narzissten identifizieren können. Der Single Item Narcissism Scale (SINS) stellt als einzige Frage: "In welchem Maße stimmen Sie dieser Aussage zu: Ich bin ein Narzisst. (Der Begriff 'Narzisst' bedeutet geltungsbedürftig, selbstbezogen und eitel)". Auf einer Skala von 1 bis 7 schätzen sich die Befragten selbst ein (1 = "trifft gar nicht auf mich zu", 7 = "trifft voll und ganz auf mich zu"). Dass diese direkte Frage ausreicht, liegt laut Fachleuten daran, dass Betroffene ihre narzisstischen Wesenszüge nicht als negativ ansehen. Sie legen diese daher bereitwillig offen.
Symptome der narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Narzisstische Menschen und Personen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung werden folgende Eigenschaften zugeschrieben:
- Überheblichkeit
- Arroganz
- egoistische Verhaltensweisen
- überhöhte Anspruchshaltung
- unkritische Selbsteinschätzung
- Selbstüberschätzung
- Gefühle der eigenen Großartigkeit
- Neid
- mangelnde Empathie
- großes Konkurrenz- und Bedrohungsgefühl
- leichte Kränkbarkeit
Ursachen von Narzissmus und narzisstischer Persönlichkeitsstörung
Die genauen Ursachen von Narzissmus sowie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung sind nicht bekannt, werden jedoch in der Kindheit vermutet. So bestimmt die Haltung der Eltern die Entwicklung eines narzisstischen Persönlichkeitsstils wesentlich mit. Narzissmus bei Kindern wird gefördert, wenn Eltern ihren Nachwuchs überbewerten und glauben, dass ihre Kinder außergewöhnlicher sind als andere. In diesem Fall sind Eltern davon überzeugt, dass ihre Kinder mehr Recht darauf hätten, ihre Ansprüche durchzusetzen als andere und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen sollten.
Der so geförderte Narzissmus hat allerdings nichts mit Selbstbewusstsein zu tun. Dieses wird vielmehr durch elterliche Wärme vermittelt: Kinder, die mit Zuneigung und Wertschätzung aufwachsen, sind in der Regel zwar selbstbewusster, jedoch weniger narzisstisch.
Zudem spielen folgende Faktoren hinsichtlich der Entstehung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung eine Rolle:
Ungleichgewicht in der Eltern-Kind-Beziehung entweder durch exzessive Verwöhnung oder Kritizismus
Genetische Veranlagung
Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung
Personen, die an der narzisstischen Persönlichkeitsstörung leiden, werden vermutlich erst ärztlichen Rat aufsuchen, wenn sie Symptome einer Depression (oft aufgrund von Krisen durch Zurückweisung oder Kritik) entwickeln. Gemäß den Diagnose-Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt die narzisstische Persönlichkeitsstörung zu den schweren Störungen der Persönlichkeit und des Verhaltens.
Da Persönlichkeitsstörungen keine Hirnschädigung oder Gehirnkrankheit zugrunde liegt, müssen Ärzt*innen bei Verdacht auf Narzissmus zunächst körperliche Ursachen ausschließen. Dazu wird auch eine körperlichen Untersuchung vorgenommen, anschließend auch eine psychologische.
Wichtige Aspekte für die Diagnosestellung sind:
Es besteht eine signifikante Beeinträchtigung der Funktionalität der Persönlichkeit, bezogen auf die eigene Persönlichkeit und die zwischenmenschliche Ebene.
Es sind pathologische Charakterzüge vorhanden, zum Beispiel das Gefühl von Grandiosität, starkem Geltungsbedürfnis oder Verlangen nach Aufmerksamkeit.
Die oben genannten Beeinträchtigungen sind über die Zeit und Situationen hinweg relativ stabil.
Die Beeinträchtigungen gehen nicht auf physiologische Effekte zum Beispiel durch Drogenmissbrauch, Medikation oder medizinische Ursachen zurück.
Therapie: So wird die narzisstische Persönlichkeitsstörung behandelt
Eine Therapie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung ist nicht einfach. Zum einen fällt es betroffenen Personen schwer, ihre fehlerhafte Selbsteinschätzung und -wahrnehmung zu erkennen. Zum anderen kompensieren sie ihre gestörten Persönlichkeitseigenschaften meist lange und können gut damit leben. Darunter leidet vor allem das direkte Umfeld.
Wurde eine narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert, kann eine Therapie bei einem*r Psychiater*in helfen. Das Mittel der Wahl ist die Gesprächstherapie, eine der häufigsten Formen der Psychotherapie. Betroffene sollen ihre narzisstischen Denkmuster erkennen, sich besser kennenlernen und weiterentwickeln.
Spezielle Medikamente gegen den krankhaften Narzissmus gibt es nicht. Bei zusätzlicher Depression oder Angstzuständen können Antidepressiva beziehungsweise angstlösende Medikamente (Anxiolytika) sinnvoll sein.
Sie möchten Informationen zu bestimmten Krankheitssymptomen oder wollen medizinischen Rat? Hier können Sie Ihre Fragen an unsere Experten oder andere Lifeline-Nutzer stellen!