Chromosomenstörung beim Mann

Klinefelter-Syndrom: Ein X-Chromosom zu viel

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Das Klinefelter-Syndrom ist eine genetische Erkrankung, die ausschließlich Männer betrifft und mit einer Unterentwicklung der Hoden einhergeht. Der damit verbundene Testosteronmangel führt oft zu Unfruchtbarkeit, kann jedoch auch zahlreiche andere Gesundheitsprobleme mit sich bringen. Wie lassen sich die Symptome lindern?

Klinefelter-Syndrom
© Getty Images/ svetikd

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Was ist das Klinefelter-Syndrom?

Das Klinefelter-Syndrom ist die häufigste genetische Erkrankung beim männlichen Geschlecht: Jeder 500. bis 1.000. Mann ist davon betroffen, nur ein kleiner Teil davon erhält jedoch im Laufe seines Lebens eine entsprechende Diagnose. Ursache des Klinefelter-Syndroms ist ein zusätzliches Geschlechtschromosom: Statt des sonst üblichen Chromosomensatzes XY liegt bei betroffenen Männern in allen oder einem Teil der Körperzellen der Chromosomensatz XXY vor.

Die Erkrankung wird als Syndrom bezeichnet, weil sie mit einer Kombination verschiedener Symptome einhergeht, die typischerweise gleichzeitig auftreten und in einem Zusammenhang stehen. Auslöser ist ein Testosteronmangel, der durch eine Störung der Hodenentwicklung bedingt ist.

Seinen Namen hat das Syndrom von dem amerikanischen Arzt Dr. Harry F. Klinefelter, der 1942 erstmals neun Patienten mit einer typischen Symptomkombination beschrieb. Dass ein zusätzliches X-Chromosom dahintersteckt, wurde jedoch erst 1959 von der britischen Genetikerin Patricia A. Jacobs entdeckt.

Welche Ursachen hat das Klinefelter-Syndrom?

Ein gesunder Mensch hat 46 Chromosomen, von denen zwei bestimmen, ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelt: Beim weiblichen Karyotyp (Chromosomensatz) liegen zwei X-Chromosomen vor, Jungen haben ein X- und ein Y-Chromosom. Eines dieser Geschlechtschromosomen stammt vom Vater und eines von der Mutter.

Kommt es bei der Verschmelzung von Ei und Samenzelle im Zuge der Zeugung zu einer Störung bei der Zellteilung, gibt entweder der Vater seine XY-Chromosomen komplett weiter oder die Mutter ihre XX-Chromosomen. So haben 80 Prozent der Jungen und Männer mit Klinefelter-Syndrom ein zusätzliches X-Chromosom, weisen also den Chromosomensatz XXY in allen Körperzellen auf. In 20 Prozent der Fälle liegen sowohl Zellen mit normalem als auch solche mit verändertem Chromosomensatz (Mosaik) vor, sehr selten sind mehrere zusätzliche X- oder Y-Chromosomen nachweisbar (beispielsweise XXXY oder XXYY).

Das Klinefelter-Syndrom wird durch eine zufällige Mutation ausgelöst, in zwei Dritteln der Fälle wird das überzählige X-Chromosom von der Mutter weitergegeben. Mit zunehmendem Alter der Mutter bei der Geburt steigt das Risiko für eine solche Fehlverteilung.

Welche Symptome treten beim Klinefelter-Syndrom auf?

Typisch für das Klinefelter-Syndrom ist eine Unterentwicklung der Hoden. Da der größte Teil des Testosterons in den Hoden gebildet wird, weisen Männer mit Klinefelter-Syndrom einen Testosteronmangel auf, der sich oft erst in der Pubertät bemerkbar macht. Bereits in der Kindheit fallen einige von ihnen durch eine verzögerte motorische und geistige Entwicklung auf.

Der Testosteronmangel kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein und zeigt sich unter anderem durch folgende Symptome:

  • verminderte Spermienproduktion, oft verbunden mit Unfruchtbarkeit
  • spärlicher Bartwuchs und geringe Körperbehaarung
  • überdurchschnittliche Körpergröße, überproportional lange Beine
  • Libidoverlust, Potenzstörungen
  • verringerte Muskelmasse und -kraft
  • Wachstum des Brustdrüsengewebes (Gynäkomastie)
  • Blutarmut (Anämie)
  • Fehlbildung der Zähne (Taurodontismus)

Bei unbehandelten Erwachsenen ist – vor allem bei Übergewicht – die Neigung zu Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen deutlich erhöht. Auch das Risiko für Thrombosen und Krampfadern ist höher als bei Männern mit normalen XY-Chromosomensatz.

Mit fortschreitendem Alter kommt es oft zu einem für Männer untypischen Knochenschwund (Osteoporose); bei einer ausgeprägten Gynäkomastie besteht zusätzlich ein erhöhtes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken. Auch die Psyche ist in manchen Fällen von dem Testosteronmangel betroffen – hier sind Stimmungsschwankungen und Antriebslosigkeit bis hin zu ausgeprägten Depressionen möglich.

Wie wird das Klinefelter-Syndrom festgestellt?

Das Klinefelter-Syndrom lässt sich mittels vorgeburtlicher Untersuchungen (Pränataldiagnostik) bereits bei Kindern im Mutterleib diagnostizieren. Dabei wird eine Probe des Fruchtwassers oder des Mutterkuchens (Plazenta) entnommen und untersucht. Da ein Großteil der Betroffenen ein vollkommen normales Leben führt, ohne überhaupt etwas von der Krankheit zu merken, ist eine entsprechende Diagnose kein Grund für einen Schwangerschaftsabbruch.

In den meisten Fällen wird das Klinefelter-Syndrom jedoch erst in der Pubertät oder bei Unfruchtbarkeit erkannt. Werden bei einer körperlichen Untersuchung zudem verkleinerte Hoden, verringerte Körperbehaarung oder eine Vergrößerung der Brustdrüsen festgestellt, erhärtet sich der Verdacht auf ein Klinefelter-Syndrom.

In diesem Fall wird meist zunächst eine Blutuntersuchung vorgenommen: Männer mit Klinefelter-Syndrom weisen oft einen erniedrigten Testosteronspiegel bei gleichzeitig erhöhten Werten der Hypophysenhormone FSH (follikelstimulierende Hormone) und LH (luteinisierende Hormone) auf.

Wirklich zuverlässig lässt sich das Klinefelter-Syndrom jedoch nur mithilfe einer Chromosomenanalyse diagnostizieren: Dabei wird eine Blutprobe auf den abweichenden Chromosomensatz untersucht.

Therapie: Wie wird das Klinefelter-Syndrom behandelt?

Da ein Gendefekt für das Klinefelter-Syndrom verantwortlich ist, kann es nicht geheilt werden. Allerdings lässt sich der Testosteronmangel mithilfe einer Hormonersatztherapie behandeln. Idealerweise beginnt diese Testosteronsubstitution mit dem Einsetzen der Pubertät.

Betroffene haben bei der Testosterontherapie die Wahl zwischen mehreren Möglichkeiten:

  • Depot-Spritzen, die alle 12 Wochen gegeben werden
  • Gele, die täglich auf den Oberarm oder Bauch aufgetragen werden
  • Pflaster, die alle zwei Tage gewechselt werden

Die Testosteronsubstitution muss ein Leben lang durchgeführt und regelmäßig ärztlich kontrolliert werden – nur so lassen sich Therapieerfolg und eventuell auftretende Nebenwirkungen im Blick behalten. Regelmäßige Blut- und Prostata-Untersuchungen gehören zum Leben eines Mannes mit Klinefelter-Syndrom dazu. Denn die Testosteronsubstitution kann zu Veränderungen des Blutbildes und einer Vergrößerung der Prostata führen.

Kann man mit Klinefelter-Syndrom Kinder zeugen?

Da bei mehr als 90 Prozent der Männer mit Klinefelter-Syndrom keine Spermien im Ejakulat vorhanden sind, war ein Kinderwunsch lange Zeit nur mittels Adoption und Spendersamen zu erfüllen. Mittlerweile weiß man jedoch, dass bei einigen Betroffenen – vor allem in jungem Alter – noch Spermien gebildet werden und mittels einer Hodenbiopsie entnommen werden können. Diese werden dann in flüssigem Stickstoff eingefroren (Kryokonservierung) und können für eine spätere künstliche Befruchtung genutzt werden.

Da die Testosteronsubstitution die natürliche Spermienbildung unterdrückt, muss diese vor einer solchen Behandlung drei bis sechs Monate lang ausgesetzt werden. Darüber hinaus muss berücksichtigt werden, dass gezeugte Kinder eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine Genommutation – sowohl in Hinblick auf die Geschlechtschromosomen als auch für Chromosom 18 und 21 – haben.

Klinefelter-Syndrom: Verlauf und Prognose

Die meisten Männer mit Klinefelter-Syndrom führen – abgesehen von dem meist unerfüllt bleibenden Kinderwunsch – ein ganz normales Leben. Sie haben eine durchschnittliche Intelligenz, benötigen in manchen Fällen jedoch besondere Förderung in der schulischen oder beruflichen Ausbildung. Bleibt die Testosteronsubstitution aus, kann die Lebenserwartung verkürzt sein – vor allem durch das erhöhte Risiko, an Brustkrebs, Gefäßerkrankungen, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Problemen zu erkranken.

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