Orthorexie: Gesunde Ernährung als Zwang
Unter Orthorexie verstehen Fachleute eine zwanghafte Fixierung auf eine gesunde Ernährungsweise. Auch wenn die Orthorexie eine Mangelernährung und soziale Isolation nach sich ziehen kann, gilt sie bislang noch nicht als anerkannte psychische Krankheit wie etwa Bulimie und Magersucht.
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Neben den bekannten Essstörungen wie Bulimie, Binge Eating oder Magersucht (auch Anorexia nervosa oder Anorexie) gibt es noch weitere Formen problematischen Essverhaltens. Dazu zählt auch die Orthorexie, welche fachsprachlich als Orthorexia nervosa bezeichnet wird.
Artikelinhalte im Überblick:
Was ist Orthorexie?
Der Begriff Orthorexie wurde in den 1990er-Jahren vom amerikanischen Arzt Dr. Steven Bratman geprägt. Der Begriff kommt das dem Griechischen und bedeutet so viel wie "richtiger Appetit".
Menschen mit Orthorexie beschäftigen sich zwanghaft mit gesunder Ernährung, wobei sie selbst definieren, was gesund ist und sich nicht etwa an gängige Empfehlungen halten. So verzichten manche in ihrer Diät auf einzelne bestimmte Lebensmittel, andere streichen ganze Lebensmittelgruppen von ihrem Speiseplan oder ernähren sich ausschließlich nach festen Zeitplänen.
Ist Orthorexie eine Essstörung?
Orthorexie gilt bislang nicht offiziell als psychische Erkrankung oder Essstörung, auch wenn die Folgen schwerwiegend sein können. So kann das Essverhalten etwa Mangelzustände zur Folge haben und die ständige Kontrolle der Nahrungsmittel dazu führen, dass Betroffene sich sozial zurückziehen.
In Fachkreisen wird derzeit diskutiert, Orthorexie als eigenständiges Krankheitsbild anzuerkennen, das nach bestimmten Kriterien diagnostiziert werden kann. Auf den ersten Blick rückt Orthorexie in die Nähe einer Zwangsstörung oder einer Essstörung wie die Magersucht. Allerdings gibt es auch gravierende Unterschiede: So fehlt bei einer Orthorexie unter anderem häufig der Leidensdruck. Zudem versuchen Menschen mit Orthorexie häufig, andere ebenfalls von ihrer vermeintlich gesunden Ernährungsweise zu überzeugen, was etwa bei einer Magersucht nicht der Fall ist. Deshalb schätzen einige Fachverbände die Orthorexie eher als Vorstufe einer Essstörung ein.
Wie entsteht Orthorexie?
Meistens beginnt eine Orthorexie verhältnismäßig harmlos: Betroffene möchten sich gesund oder gesünder ernähren und mehr auf die Qualität der verzehrten Lebensmittel achten. Die Gründe sind sehr vielfältig: beispielsweise der Wunsch, Gewicht zu verlieren oder weniger künstliche Zusatzstoffe oder andere Schadstoffe zu essen. Körperliche Ursachen wie eine Allergie oder Unverträglichkeiten sind dagegen seltenere Auslöser.
Davon ausgehend beschäftigen sich Orthorektiker*innen zunehmend mit ihrer Ernährung und überlegen sich, was gesund in diesem Zusammenhang für sie bedeutet. Typischerweise werden dabei einzelne Inhaltsstoffe wie Zucker, Gluten und Weißmehl oder ganze Lebensmittelgruppen wie Süßigkeiten sowie Milch und Milchprodukte vom Speiseplan verbannt. Charakteristisch ist, dass sich dieses Verhalten steigert: Wird anfangs nur auf einzelne Lebensmittel verzichtet, weitet sich das Verbot langsam aus, bis kaum noch etwas übrig bleibt, was Betroffene guten Gewissens essen können.
Orthorexie: Symptome und Anzeichen
Menschen mit Orthorexie verbringen oft viel Zeit damit zu überlegen, ob und welche Nahrung sie zu sich nehmen. Sie forschen akribisch:
woher die Nahrungsmittel stammen,
ob sie bestimmte Inhaltsstoffe enthalten und
ob es sich zum Beispiel tatsächlich um Bio-Ware handelt.
Auch das genau Planen und Prüfen, wie viel Eiweiß, Kohlenhydrate und Fett in einer Mahlzeit stecken, kann ein Anzeichen für Orthorexie sein.
Häufig misstrauen Betroffene allem, was sie nicht selbst von sicherer Quelle erworben oder hergestellt haben. Daher bringen manche auch eigene Speisen und Getränke unterwegs oder zu Einladungen bei Familie und dem Freundeskreis mit.
Ein weiteres Indiz für Orthorexie ist, dass Betroffene häufig "missionarisch" versuchen, ihr Umfeld von ihrem Zwang zur gesunden Ernährung zu überzeugen: Wer beim Essen einem Menschen mit Orthorexie gegenübersitzt, der ständig das Essverhalten kritisiert und an allen Lebensmitteln herummäkelt, fühlt sich oftmals unangenehm bedrängt.
Gesundheitliche Folgen der Orthorexie
Durch eine einseitige Ernährung drohen in der Folge Mangelerscheinungen, da in einigen Fällen nicht mehr alle notwendigen Nähr- und Mineralstoffe in ausreichender Menge aufgenommen werden. Zudem besteht die Gefahr, dass die Orthorexie in eine Essstörung wie Magersucht übergeht. Außerdem erhöht Orthorexie das Risiko für Depressionen: Diese Gefahr besteht vor allem dann, wenn sich Betroffene aufgrund ihrer Essgewohnheiten sozial abschotten.
Psychotherapie: Wege aus der Orthorexie
Weil noch nicht sicher ist, ob Orthorexie eine eigenständige psychische Störung ist, gibt es auch noch keine spezielle Therapie dagegen. Fachleute sind sich darüber einig, dass Orthorexie erst dann behandlungsbedürftig ist, wenn der Leidensdruck groß wird und der Wunsch besteht, das zu ändern.
Die Therapie der Orthorexie besteht dann wie bei anderen Essstörungen darin, wieder ein normales Ernährungsverhalten zu erlernen. Je nach Ausprägung beginnt die Psychotherapie mit einem stationären Aufenthalt in einer Klinik, die eine Abteilung für Patient*innen mit Essstörungen hat. Bei leichteren Formen ist dagegen eine ambulante Verhaltenstherapie sinnvoll. Meist wird nach der Ursache der Essstörung gesucht, sodass die zugrunde liegenden Faktoren den Betroffenen bewusst werden. Zusätzlich kann ein*e Ernährungsberater*in dabei helfen, die Angst vor vermeintlich ungesundem Essen abzubauen.
Vorbeugen: Eigenes Essverhalten reflektieren
Im herkömmlichen Sinn lässt sich einer Orthorexie kaum vorbeugen. Sinnvoll ist es allerdings, das eigene Essverhalten häufiger kritisch zu hinterfragen:
Ernähre ich mich ausgewogen oder schließe ich bestimmte Lebensmittel bewusst aus, obwohl sie mir schmecken?
Suche ich mir Nahrungsmittel und Mahlzeiten nur noch danach aus, wie sie zusammengesetzt sind und weniger aus Genuss?
Wenn die Gedanken rund um Essen und Gesundheit immer mehr Raum einnehmen, kann dies ein Warnzeichen sein. Dann sollte der Ursache auf den Grund gegangen und etwas dagegen unternommen werden – bevor sich ein bewusster Umgang mit der eigenen Ernährung zu einer Essstörung entwickelt.
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