Binge Eating: Teufelskreis aus Essanfällen und Schuldgefühlen
Menschen, die unter der Essstörung Binge Eating leiden, verzehren innerhalb kurzer Zeit ungewöhnlich große Mengen an Essen. Die Essattacken erscheinen Betroffenen dabei unkontrollierbar, sodass der Leidensdruck groß ist. Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
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Binge Eating wird auch als Binge-Eating-Störung (BES) oder Binge Eating Disorder bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine schwere und behandlungsbedürftige Essstörung. Der Leidensdruck von Betroffenen ist oftmals sehr hoch, mit den richtigen therapeutischen Maßnahmen lässt sich die Erkrankung jedoch in vielen Fällen heilen.
Artikelinhalte im Überblick:
Binge Eating: Was steckt hinter der Essstörung?
Hauptmerkmal der Essstörung Binge Eating sind wiederkehrende Essattacken. Der Begriff kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie "Gelage". In diesen Perioden verspüren Betroffene keinerlei Kontrolle mehr über ihr Handeln: Sie können einfach nicht aufhören zu essen, selbst wenn sie längst satt sind und bereits unter Bauchschmerzen leiden. Solche Attacken treten bei der Erkrankung mindestens ein- bis zweimal wöchentlich über einen Zeitraum von über drei Monaten hinweg auf. Etwa zwei bis drei Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind von der Essstörung betroffen, davon zwei Drittel Frauen und ein Drittel Männer.
Essstörungen lassen sich kaum trennscharf voneinander abgrenzen, so kommen Essanfälle auch bei anderen Erkrankungen wie einer Bulimie oder Magersucht (Anorexia nervosa) vor. Im Gegensatz zu Menschen mit Bulimie versuchen Betroffene einer Binge-Eating-Störung nicht, die hohe Kalorienzufuhr durch Erbrechen, den Missbrauch von Abführmitteln, Fasten oder exzessiven Sport zu kompensieren. Auch handelt es sich bei Binge Eating streng genommen nicht um eine Esssucht, denn es wird nicht dauerhaft zu viel gegessen.
Trotzdem kommt es als Folge der Essanfälle früher oder später oftmals zu einer Gewichtszunahme: Zwischen vier und neun Prozent der stark übergewichtigen (adipösen) Menschen weisen Anzeichen einer Binge-Eating-Störung auf.
Betroffene leiden infolge des Binge Eating oft unter Schuldgefühlen, Ekel gegenüber sich selbst oder Depressionen, die durch die wiederholten Essattacken und die fehlende Kontrolle darüber ausgelöst und verstärkt werden. Ähnlich wie bei Magersucht und Bulimie ist der Leidensdruck auch bei dieser Essstörung sehr groß.
Symptome und Folgen des Binge Eating
Hauptsymptom der Binge-Eating-Störung sind wiederholte Essattacken, bei denen große Kalorienmengen aufgenommen werden. Dabei erleben Betroffene einen wahren Kontrollverlust – sie haben das Gefühl, nicht mehr mit dem Essen aufhören zu können. Durch den Essanfall nehmen Binge Eater*innen in einer bestimmten Zeit eine solche Menge an Nahrung zu sich, die bedeutend größer ist, als andere Menschen in vergleichbarer Zeit schaffen könnten oder würden. Außerdem essen sie deutlich schneller als normal und hören trotz Völlegefühl oder Übelkeit nicht auf zu essen.
Durch die stark erhöhte Kalorienzufuhr – bei einem Essanfall können es tausend bis zehntausend Kalorien sein – kommt es im Laufe der Erkrankung zu einer fortschreitenden Gewichtszunahme. Als übergewichtig gelten Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von 25 und mehr, von Fettleibigkeit oder Adipositas sprechen Fachleute ab einem BMI von 30.
Nach dem Essanfall kommt der Ekel – aber kein Erbrechen
Nach der Essattacke fühlen sich die Betroffenen schuldig oder ekeln sich vor sich selbst, sie essen daher meistens alleine. Anders als bei bulimischen Personen versuchen Menschen mit der Binge-Eating-Störung nicht, die überschüssigen Kalorien durch selbst hervorgerufenes Erbrechen, Abführmittel oder extrem viel Sport wieder auszugleichen.
Seelische und körperliche Folgen
Zum einen bedeutet Binge Eating eine immense psychische Belastung für Betroffene. Auf der anderen Seite kann das durch die Essanfälle bedingte Übergewicht zu körperlichen Folgeerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck führen, wenn die Essstörung nicht frühzeitig erkannt und behandelt wird.
Ursachen der Binge-Eating-Störung
Im Gegensatz zu anderen Essstörungen sind konkrete Auslöser des Binge Eatings besser bekannt: Fachleute gehen davon aus, dass psychologische Faktoren wie Langeweile, Stress oder emotionale Schwierigkeiten die Krankheit verursachen. Menschen mit einer Binge-Eating-Störung versuchen psychologischen Erkenntnissen zufolge, diese unangenehmen emotionalen Zustände durch Essen zu überbrücken.
So können extreme negative Emotionen wie beispielsweise Frust, Wut und Trauer einen Essanfall triggern. In manchen Fällen können das auch positive Emotionen sowie Aufregung. Darüber hinaus kann zu stark gezügeltes Essverhalten die unkontrollierten Heißhungerattacken auslösen. Als weitere Risikofaktoren gelten:
- Geringes Selbstwertgefühl
- Mangelnde soziale Unterstützung
- Depressive Symptome
- Sexueller Missbrauch
- Körperliche Vernachlässigung
- Durchführen von Diäten
- Hohe Bedeutsamkeit von Figur und Gewicht
- Negative Lebensereignisse
Zudem begünstigen Übergewicht als Kind und negative Bemerkungen über den vermeintlich zu dicken Körper das Auftreten der Krankheit.
Diagnostische Merkmale einer Binge-Eating-Störung
Eine Episode von Essanfällen ist durch die übermäßige Nahrungsaufnahme innerhalb eines bestimmten Zeitraums und den währenddessen erlebten Kontrollverlust gekennzeichnet. An mindestens einem Tag pro Woche über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten kommt es zu solchen Essattacken. Sie treten gemeinsam mit mindestens drei weiteren Symptomen auf, um die Diagnose Binge Eating stellen zu können:
- Deutlich schneller essen als andere Menschen
- Essen bis zum Völlegefühl
- Essen großer Nahrungsmengen, ohne hungrig zu sein
- Alleine essen aus Scham vor den großen Mengen Nahrung
- Ekel vor sich selbst
- Depressive Gedanken oder Schuldgefühle nach Heißhungerattacken
Für die Abgrenzung zur Bulimie wird geprüft, ob Betroffene Maßnahmen ergreifen, um die Essanfälle zu kompensieren.
Zur Diagnose führen Ärzt*innen oder Psychotherapeut*innen in der Regel strukturierte Interviews durch. Dabei wird auf weitere psychische Störungen geachtet: Häufig leiden Binge-Eating-Patient*innen auch unter Depressionen, Angststörungen, Drogen- und Alkoholsucht oder einer Persönlichkeitsstörung.
Therapie: Wie wird eine Binge-Eating-Störung behandelt?
Um Binge Eating behandeln zu können, müssen Betroffene sich zunächst selbst eingestehen, dass sie eine Essstörung haben und Hilfe brauchen. Wenn Betroffene selbst Hilfe suchen, stehen die Heilungschancen sehr gut. Direkte Anlaufstellen können Beratungsstellen, eine hausärztliche oder psychiatrische Praxis sowie auf Essstörungen spezialisierte Kliniken sein. Die Behandlung kann sowohl ambulant als auch stationär mit Aufenthalt in einer Klinik oder teilstationär in einer Tagesklinik erfolgen.
Bei Essstörungen hat sich die kognitive Verhaltenstherapie als sehr wirksam erwiesen. Ziele der Behandlung sind, das Essverhalten und Gewicht der Betroffenen zu normalisieren und ihre Körperwahrnehmung und -akzeptanz zu verbessern. Weiterhin werden die der Störung zugrunde liegenden Ursachen psychotherapeutisch bearbeitet, um die Binge-Eating-Störung langfristig zu behandeln und einen Rückfall zu verhindern.
In manchen Fällen ist auch eine medikamentöse Therapie mit Antidepressiva notwendig.
Rückfälle bei behandelter Binge-Eating-Störung selten
Die Binge-Eating-Störung ist gut behandelbar: Etwa 80 Prozent der Betroffenen, die sich in eine stationäre Behandlung begeben haben, erleben auch nach etwa sechs Jahren keinen Rückfall.
Gezielte Vorbeugung kaum möglich
Die Ursachen für Binge Eating sind in der Regel komplex und häufig psychischer Natur. Aus diesem Grund ist es schwer, dieser Essstörung konkret vorzubeugen. Wichtig ist es, sich das eigene Hunger- und Sättigungsgefühl zu bewahren. Außerdem sollte Nahrung nicht als Ersatz für Trost bei Kummer und Sorgen oder zur Belohnung angesehen werden. Diese Dinge können bereits Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben und damit ein gesundes Verhältnis zu Essen fördern.
Um den psychischen und vor allem körperlichen Folgen des Binge Eating vorzubeugen, benötigen Betroffene frühzeitig Hilfe. Deshalb ist es wichtig, bei sich selbst und Angehörigen auf Zeichen einer Essstörung zu achten und sich bei entsprechenden Symptomen Hilfe zu holen beziehungsweise diese anzubieten.
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