Akromegalie: Zu viele Wachstumshormone durch seltenen Tumor
Ursache der seltenen Akromegalie ist ein Gehirntumor, durch die der Körper zu viele Wachstumshormone bildet. Die Folge ist ein übermäßiges Wachstum von Körperteilen bis hin zum generellen Riesenwuchs. Unbehandelt kann Akromegalie zu schweren Komplikationen führen.
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Am häufigsten tritt die Akromegalie zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr auf. Doch die Tumorerkrankung kann auch Kinder und Jugendliche treffen, bei denen sich ein abnormales Längenwachstum zeigt. Die Symptome entwickeln sich langsam und oft unauffällig, was die Diagnose erschwert.
Artikelinhalte im Überblick:
Ursache der Akromegalie ist Tumor in der Hirnanhangsdrüse
Typisch für die Akromegalie ist die Vergrößerung der Akren, also aller Körperteile, die am weitesten vom Rumpf entfernt sind. Deshalb nannte der Neurologe Pierre Marie, der die Wachstumsstörung entdeckt hat, das Krankheitsbild Akromegalie nach den griechischen Worten akron (für hervorspringende Körperenden) und mega (für groß).
Ein gutartiger Tumor im vorderen Teil der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) sorgt dafür, dass zu viele Wachstumshormone gebildet werden. Somatotropin (auch human growth hormone, HGH genannt) regelt nicht nur das kindliche Wachstum, sondern hat auch beim gesunden Erwachsenen eine wichtige Funktion im Fett-, Blutzucker- und Eiweiß-Stoffwechsel. Seine Ausschüttung aus der Hirnanhangsdrüse unterliegt normalerweise einem Regelkreis mit den Hormonen Somatoliberin und Somatostatin, der sicherstellt, dass weder zu viel noch zu wenig Hormon ins Blut gelangt. Durch das Hypophysenadenom ist dieser Regelkreis jedoch gestört.
Eine weitere Rolle für Akromegalie spielt der Insulin-ähnliche Wachstumsfaktor IGF-1 (Insulin-like-Growth-Factor-1). IGF-1 wird unter dem Einfluss des Wachstumshormons Somatotropin in der Leber gebildet und gelangt von dort ins Blut. Die meisten Symptome der Akromegalie werden durch eine erhöhte Konzentration an IGF-1 im Blut hervorgerufen.
Ist Akromegalie vererbbar?
Durch Genmutationen kann die Akromegalie vererbt werden, eine familiäre Akromegalie in mehreren Generationen kommt jedoch extrem selten vor. Häufiger ist die familiäre multiple endokrine Neoplasie (MEN) Typ 1. Bei dieser Erkrankung kommen neben dem Tumor der Hirnanhangsdrüse auch Geschwulste der Nebenschilddrüse und der Bauchspeicheldrüse gehäuft vor. Damit unterscheidet sie sich von der lokal auf die Hypophyse begrenzten Akromegalie.
Symptome der Akromegalie
Die Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes ist das auffälligste Anzeichen der Akromegalie. Anfangs unbemerkt, wirkt sich der Überschuss an Wachstumshormonen mit Fortschreiten der Erkrankung auf den gesamten Körper aus, was zu ernsthaften Beschwerden führen kann.
Entwickelt sich der gutartige Hypophysentumor beim Kind oder bei Heranwachsenden, bevor sich die Knochenfuge schließt, also vor Abschluss des Knochenwachstums, entsteht das Bild des Gigantismus (Riesenwuchs).
Die häufigsten Symptome im Überblick:
Vergrößerung von Händen und Füßen
Vergrößerung der Geschlechtsteile
vergröberte Gesichtszüge
Zahnfehlstellungen
Sprechstörungen durch Vergrößerung der Zunge
Gelenkbeschwerden und eingeschränkte Beweglichkeit
Gefühlsstörungen, Taubheitsgefühl und Kribbeln in den Händen
unregelmäßige Menstruation
Sehstörungen, Einschränkungen des Gesichtsfeldes
Schnarchen, Atemstörungen während des Schlafens (Schlafapnoe)
erhöhter Blutdruck
übermäßiges Schwitzen
Da die Krankheit nur langsam voranschreitet und zudem auch sehr selten ist, vergehen vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose durchschnittlich neun Jahre. In dieser Zeit kämpfen Betroffene mit diffusen und für sie unerklärlichen Symptomen, die den Alltag deutlich einschränken und sogar bis zur Berufsunfähigkeit führen können. Im schlimmsten Fall verkürzen sie die Lebenserwartung.
Zahnprobleme und unangenehmer Körpergeruch
Betroffene klagen oft über rasche Ermüdbarkeit, verringerte körperliche Belastbarkeit, Konzentrationsschwäche und allgemeines Unwohlsein. Im Gesicht zeigen sich typischerweise ein auffallend hervorstehendes Kinn, eine sich vergrößernde Nase sowie ausgeprägte Lippen und Jochbögen. Diese Veränderungen vollziehen sich jedoch meist unmerklich und fallen Menschen mit Akromegalie selbst oft nur dadurch auf, dass Schuhe zu klein werden oder Fingerringe und Hüte nicht mehr passen.
Da auch der Kiefer weiterwächst, macht sich eine zunehmende Fehlstellung des Gebisses mit entsprechenden kieferorthopädischen Problemen bemerkbar. Betroffene können Schwierigkeiten mit der Nahrungsaufnahme bekommen, da das Abbeißen durch die verschobenen Zahnreihen erschwert wird. Auch eine Zahnprothese, die nicht mehr richtig passt, ist mitunter ein Hinweis auf Akromegalie. Deshalb wird der*die Zahnarzt*Zahnärztin oft als Erstes aufgesucht, um entsprechende Auffälligkeiten abzuklären. Sehr unangenehm sind für viele auch die Veränderungen der äußeren Körperhülle: So wird die Haut dicker und dunkler, die Körperbehaarung dichter. Die Schweiß- und Talgdrüsen der Haut nehmen an Größe zu und produzieren mehr Schweiß. Daher kommt es häufig zu störendem Körpergeruch.
Atmung, Herz-Kreislauf-System und Hormone betroffen
Da neben Lippen und Kiefer auch Zunge, Kehlkopf und Teile der Nase wachsen, wird mit der Zeit die Atmung erschwert. Sehr häufig tritt das Schlafapnoe-Syndrom auf, bei dem die Betroffenen – fast immer Schnarcher*innen – unter nächtlichen Atemstillständen leiden, die länger als zehn Sekunden andauern. Diese Atemaussetzer können bis zu 300 Mal in einer Nacht auftreten und somit die nächtliche Erholung empfindlich stören. Vermehrte Tagesmüdigkeit und auch Bluthochdruck sind häufig die Folge. Das Herz-Kreislauf-System wird zusätzlich durch ein vergrößertes Herz belastet, es kommt zu Herzrhythmusstörungen und Herzschwäche.
Nicht zuletzt leiden Menschen mit Akromegalie unter einem veränderten Stoffwechsel und einer gestörten Hormonregulation. In der Folge entwickelt sich erhöhter Blutzuckerspiegel bis hin zu Diabetes mellitus sowie eine Unterfunktion von Nebennieren oder Schilddrüse.
Diagnose: Akromegalie wird oft spät erkannt
In den meisten Fällen wird die erste Verdachtsdiagnose von einem*einer Hausarzt*Hausärztin gestellt, wenn Patient*innen mit Beschwerden kommen und keine andere Ursache zu finden ist. Um zu klären, ob eine Störung der Hypophysenfunktion für die Symptome verantwortlich ist und eine Akromegalie vorliegt, werden dann Spezialist*innen für Hormonerkrankungen (Endokrinologie) herangezogen.
Nach Prüfen der Krankengeschichte (Anamnese) erfolgen eine generelle körperliche Untersuchung und Laboruntersuchungen von Blut und Urin. Dazu wird die Konzentration des Wachstumshormons GH im Blut bestimmt. Bei Verdacht auf Akromegalie wird der sogenannte Glukosebelastungstest (oraler Glukosetoleranztest, OGTT) durchgeführt, der eine zuverlässige Aussage über die GH-Spiegel erlaubt. Da das Wachstumshormon die Bildung des Wachstumsfaktors IGF-1 in der Leber anregt, wird zur Sicherung der Diagnose auch die Konzentration von IGF-1 im Blut bestimmt. Die Messung des IGF-1-Spiegels ist auch zur Verlaufskontrolle der Akromegalie wichtig.
Bildgebende Verfahren zur Diagnostik
Sollte sich durch die Laboruntersuchungen der Verdacht auf eine Akromegalie bestätigen, werden bildgebende Verfahren wie die Magnetresonanztomografie (MRT) eingesetzt, um die Diagnose weiter abzusichern. Dabei werden die Hypophyse und umliegendes Gewebe schichtweise dargestellt und aufgezeichnet, sodass selbst minimale Abweichungen sichtbar werden. Im Gegensatz zur Computertomografie (CT) ist die MRT genauer.
Behandlung der Akromegalie: OP, Medikamente oder Bestrahlung?
Aufgrund der möglichen Folgeerkrankungen ist eine Therapie bei Akromegalie unerlässlich. Die überwiegende Mehrheit der an Akromegalie erkrankten Patient*innen kann heute mit gutem Erfolg behandelt werden. Ziel der Maßnahmen ist es, die übermäßige Ausschüttung des Wachstumshormons GH und des Wachstumsfaktors IGF-1 zu normalisieren.
Operation bietet gute Heilungschancen
Die Operation ist heute nach wie vor die wichtigste Behandlungsmethode bei Akromegalie. Mehr als drei Viertel aller Patient*innen mit einem Mikroadenom, das im Durchmesser kleiner als einen Zentimeter ist, sind nach der Operation vollständig von ihrer Akromegalie geheilt.
Mit der transsphenoidalen Operation durch die Nase gelingt es heute, Hypophysentumore sehr schonend zu entfernen und das gesunde Gewebe der Hypophyse weitestgehend zu erhalten. Nur in wenigen Fällen treten nach dem Eingriff Komplikationen auf. Möglich sind nach der OP leichte Kopfschmerzen und eine geschwollene Nasenschleimhaut. Größere Tumore (Makroadenome), deren Durchmesser mehr als einen Zentimeter betragen, können nur selten vollständig entfernt werden. In diesem Fall ist zusätzlich eine medikamentöse Therapie oder Strahlentherapie notwendig.
Medikamente blockieren Wachstumshormone
Zur medikamentösen Therapie der Akromegalie stehen drei Substanzklassen zur Verfügung. Die Behandlung muss meist dauerhaft erfolgen.
Somatostatin-Analoga (Octreotid und Lanreotid): Sie gelten als Mittel der Wahl und führen zu einer effektiven Symptombehandlung. Eine Reduktion der Wachstumshormonspiegel wird bei 80 bis 95 Prozent der Patient*innen erreicht, eine Senkung unter den wichtigen Schwellenwert von 2,5 Mikrogramm pro Liter (µg/l) wird bei etwa zwei Dritteln mit Octreotid erreicht. Des Weiteren kann die Therapie mit Somatostatin-Analoga zu einer Verkleinerung des Hypophysentumors führen.
Dopamin-Agonisten: Eine Senkung der Wachstumshormon-Sekretion durch einen Dopamin-Agonisten, der in Form einer Tablette eingenommen werden kann, wird bei rund 30 bis 50 Prozent der Patient*innen erreicht – eine vollständige Krankheitskontrolle kann allerdings nur bei zehn bis 20 Prozent erzielt werden. Daher werden Dopamin-Agonisten heute nicht mehr so häufig bei Akromegalie eingesetzt. Zur Regulierung der GH-Überproduktion sind meist hohe Dosen erforderlich, was mit deutlichen Nebenwirkungen wie Übelkeit, Absinken des Blutdrucks, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche einhergeht.
GH-Rezeptor-Antagonisten: Ein Wachstumshormon-Rezeptor-Antagonist wie der Wirkstoff Pegvisomant hat eine hohe Bindungsaffinität zum Wachstumshormon-Rezeptor. Besetzt ein Antagonist die Bindungsstelle am GH-Rezeptor, findet keine Signalübertragung statt und IGF-1 wird nicht gebildet. Der Wirkstoff ist in Deutschland für die Behandlung der Akromegalie bei Patient*innen zugelassen, bei denen eine Operation und/oder Strahlentherapie nicht den gewünschten Behandlungserfolg erzielten und bei denen eine medikamentöse Behandlung mit Somatostatin-Analoga die IGF-1-Konzentration nicht normalisierte.
Strahlentherapie als letzte Wahl
Eine Radiotherapie kommt bei Akromegalie erst zum Einsatz, wenn Betroffene nicht operiert werden dürfen oder wenn die Geschwulst zu groß ist und nicht mehr vollständig entfernt werden konnte. Die Röntgenstrahlen werden in so hoher Dosis auf das erkrankte Gewebe gelenkt, dass sich die Zellen nicht mehr teilen und vermehren können. Allmählich sterben sie alle ab und das Adenom schrumpft. Infolge einer Strahlentherapie können eine Schwächung der normalen Funktion der Hirnanhangsdrüse und selten eine Sehnervschädigung auftreten, langfristig besteht ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle.
Verlauf: Wie wirkt sich Akromegalie auf die Lebenserwartung aus?
Die Lebenserwartung bei Akromegalie ist zwar kürzer als bei gesunden Menschen, der Unterschied ist allerdings insgesamt nicht sehr groß. Entscheidend ist, ob das Wachstumshormon und IGF-1 durch Operation oder medikamentöse Therapie normalisiert werden. Wenn dies gelingt, ist die Lebenserwartung normal. Bleiben Wachstumshormon und IGF-1 aber erhöht und treten zusätzlich Bluthochdruck, Diabetes mellitus oder Herzschwäche auf, kann sich die Lebenserwartung verkürzen, in Einzelfällen auch erheblich.
Bei vielen Betroffenen wird im Verlauf der Erkrankung das Herz-Kreislauf-System geschwächt. Durch eine rechtzeitige Therapie lässt sich dieser Prozess vor allem bei jüngeren Patient*innen wieder rückgängig machen. Durch den Überschuss an Wachstums- und anderen Hormonen gerät auch der Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht. Betroffene neigen zur Zuckerkrankheit, erhöhten Blutfettwerten und Bluthochdruck – allesamt Risikofaktoren für eine Arteriosklerose, die im schlimmsten Fall zu einem Herzinfarkt oder Schlaganfall führen kann.
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