Essstörungen: Arten, Ursachen und Behandlung
Nach höchsten wissenschaftlichen Standards verfasst und von Expert*innen geprüftAnorexia nervosa, Bulimie und Binge Eating sind die drei Hauptformen von Essstörungen. Diese schwerwiegenden Erkrankungen können sowohl der Psyche als auch dem Körper der Betroffenen erheblich schaden. Erfahren Sie mehr über die verschiedenen Arten von Essstörungen, ihre möglichen Anzeichen und welche Behandlung hilft.
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Kurzübersicht: Häufige Fragen und Antworten
Welche Arten von Essstörungen gibt es? Die Hauptformen sind Anorexie (Magersucht), Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Binge-Eating-Störung. In vielen Fällen treten sie als Mischform auf.
Wie entstehen Essstörungen? Essstörungen entstehen durch ein Zusammenspiel von biologischen, familiären, persönlichen und soziokulturellen Faktoren. Häufig spielen auch psychische Probleme und traumatische Erfahrungen eine Rolle.
Was sind typische Symptome von Essstörungen? Symptome können starkes Unter- oder Übergewicht, zwanghaftes Essverhalten, übermäßige Beschäftigung mit dem eigenen Körperbild und extreme Diätmaßnahmen umfassen. Psychische Symptome wie Angst und Depressionen sind ebenfalls häufig.
Artikelinhalte im Überblick:
Was sind Essstörungen?
Bei Essstörungen handelt es sich um ernsthafte psychische Erkrankungen. Sie zeichnen sich durch abnormales Essverhalten und eine gestörte Wahrnehmung des eigenen Körpers aus.
Solche Störungen verursachen erhebliches Leid und erfordern zwingend eine professionelle Behandlung. Ohne fachkundige Hilfe können Essstörungen schwerwiegende Auswirkungen auf die mentale und körperliche Gesundheit haben.
Je früher Betroffene medizinische Hilfe in Anspruch nehmen, desto größer sind die Chancen auf vollständige Genesung.
Wer ist betroffen?
Von den drei Formen der Essstörungen ist die Binge-Eating-Störung am häufigsten, gefolgt von Bulimie, während die bekannteste Form, Magersucht, am seltensten auftritt.
Durchschnittlich erkranken von 1.000 Mädchen und Frauen im Laufe ihres Lebens etwa 28 an einer Binge-Eating-Störung, 19 an Bulimie und 14 an Magersucht.
Jungen und Männer sind seltener betroffen, mit etwa 10 Fällen von Binge-Eating-Störung, 6 von Bulimie und 2 von Magersucht pro 1.000. Die Dunkelziffer dürfte jedoch höher sein.
Arten von Essstörungen
Zu den drei häufigsten Arten von Essstörungen zählen:
Magersucht (Anorexia nervosa): Bei der Magersucht reduzieren Betroffene die Nahrungsaufnahme drastisch. In der Folge kommt es zu einer starken Gewichtsabnahme, welche gefährliche Auswirkungen auf den Körper hat. Daneben gibt es die sogenannte atypische Anorexie. Erkrankte Personen haben Normalgewicht, erfüllen aber alle anderen Kriterien für eine Magersucht.
Bulimie (Bulimia nervosa, Ess-Brechsucht): Betroffene haben wiederholt unkontrollierbare Essanfälle. Im Anschluss versuchen sie, die Kalorien durch Erbrechen, übermäßigen Sport oder Abführmittel loszuwerden. Eine Bulimie sieht man Betroffenen nicht unbedingt an, da sie oft mit Normalgewicht einhergeht.
Binge-Eating-Störung (Esssucht): Bei der häufigsten Form nehmen Betroffene wiederholt innerhalb kurzer Zeit große Mengen an Nahrung auf. Diese Essanfälle sind oft mit einem Gefühl des Kontrollverlusts, Schuld oder Scham verbunden. Häufig geht Binge Eating mit starkem Übergewicht (Adipositas) einher.
Es gibt auch andere Formen von Essstörungen, deren Einordnung jedoch nicht eindeutig festgelegt ist. Dazu gehören:
Selektive Essstörung: Betroffene meiden bestimmte Nahrungsmittel oder Lebensmittelgruppen. In der Folge kommt es zu Nährstoffmangel.
Orthorexie (Orthorexia nervosa): Erkrankte sind zwanghaft auf eine gesunde Ernährungsweise fixiert.
Anorexia athletica (Sportanorexie): Sportsucht geht häufig mit einem restriktiven Essverhalten einher.
Pica-Syndrom: Betroffene essen Dinge, die nicht zum Verzehr geeignet sind, etwa Papier, Haare oder Erde. Das Pica-Syndrom tritt oft bei Kindern auf.
Night-Eating-Syndrom (NES, Nacht-Esser-Syndrom): Wer von NES betroffen ist, isst tagsüber häufig wenig und nimmt dafür aber abends und nachts große Mengen an Nahrung auf.
Meistens handelt es sich um eine Mischform
In den meisten Fällen treten Mischformen auf, bei denen sich die Merkmale der einzelnen Störungen überschneiden. So können bei einer Magersucht Essanfälle mit anschließendem Erbrechen auftreten, ein Verhalten, das eher typisch für Bulimie ist.
Ebenso zeigen manche Menschen mit Bulimie zeitweise Symptome einer Magersucht, indem sie nach Phasen von Essattacken durch striktes Hungern versuchen, ihr Gewicht zu kontrollieren und abzunehmen.
Ursachen: Wie kommt es zu Essstörungen?
Essstörungen lassen sich nicht auf einen einzelnen Auslöser zurückführen. Sie entstehen vielmehr aus dem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die oft miteinander verknüpft sind.
Zu den Hauptfaktoren zählen:
Biologische Ursachen: Genetische Veranlagungen und biochemische Ungleichgewichte im Gehirn können das Risiko für die Entwicklung von Essstörungen erhöhen.
Psychologische Faktoren: Viele erkrankte Personen haben mit niedriger Selbstachtung, Perfektionismus oder psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen zu kämpfen.
Soziale Einflüsse: Gesellschaftliche Schönheitsideale, die mediale Präsentation von Körperbildern und sozialer Druck können zu einem gestörten Verhältnis zum eigenen Körper und zum Essen beitragen.
Familiäre Faktoren: Stress, Konflikte, Missbrauch oder familiäre Diätpraktiken können ebenfalls eine Rolle spielen. Das Risiko zu erkranken ist zudem erhöht, wenn ein Elternteil selber von einer Essstörung betroffen ist.
Persönliche Erlebnisse: Traumatische Erfahrungen oder belastende Lebensereignisse wie Mobbing, der Verlust eines geliebten Menschen oder schwierige Beziehungen können die Entwicklung einer Essstörung begünstigen.
An diesen Symptomen lassen sich Essstörungen erkennen
Die Symptome von Essstörungen variieren je nach Art der Störung, aber es gibt einige allgemeine Anzeichen, die auf eine Essstörung hinweisen können:
Gewichtsschwankungen: Gewichtsverlust oder Gewichtszunahme, essgestörte Personen können aber auch Normalgewicht haben
strenge Diäten oder Fasten
Essanfälle oder unkontrolliertes Essen
heimliches Essen oder Verstecken von Lebensmitteln
Erbrechen oder Missbrauch von Abführmitteln nach dem Essen, Gegenmaßnahmen wie exzessiver Sport
Schuldgefühle oder Scham nach Essanfällen, zum Teil auch nach normalen Mahlzeiten
Herabsetzung des eigenen Körpers, Gefühle wie Selbstverachtung und Abscheu
zwanghaftes Kalorienzählen
Dysmorphophobie: verzerrtes Körperbild (sich selbst als übergewichtig sehen, obwohl man unter- oder normalgewichtig ist)
extreme Angst vor Gewichtszunahme
sozialer Rückzug, Vermeidung von Mahlzeiten in Gesellschaft
Diagnose einer Essstörung
Häufig ist die Diagnose einer Essstörung erschwert, da viele essgestörte Personen versuchen, ihre Erkrankung vor anderen Menschen zu verbergen.
Wenn sich Betroffene, Eltern oder andere Angehörige fachliche Hilfe holen wollen, kann die hausärztliche Praxis die erste Anlaufstelle sein. Unterstützung bietet zudem die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Auf der Internetpräsenz finden sich auch Adressen von Beratungsstellen in ganz Deutschland.
Untersuchungen in der ärztlichen Praxis
Die Diagnose einer Essstörung kann in der Regel nach einem ausführlichen Gespräch gestellt werden. Eine medizinische Diagnostik sollte aber ermitteln, ob die Symptome eventuell durch eine körperliche Erkrankung verursacht werden.
Es werden verschiedene Untersuchungen durchgeführt:
- Bestimmung von Körpergewicht und Körpergröße zur Berechnung des Body-Mass-Index (BMI)
- Messung von Blutdruck, Puls, Körpertemperatur
- Kontrolle der Durchblutung
- Untersuchung der Herzfunktion
- Blutuntersuchung
- Urinuntersuchung
- Untersuchung der Leber und Nieren
Behandlung von Essstörungen ist immer notwendig
Die Therapie ist von der Art der Essstörung abhängig. Ziel ist es, wieder ein gesundes Essverhalten zu erlernen und auch die zugrunde liegenden oder parallel existierenden psychischen Probleme zu behandeln.
Dazu stehen verschiedene Maßnahmen zur Verfügung. Grundsätzlich müssen Betroffene die Bereitschaft haben, sich behandeln zu lassen.
Klinik und Psychotherapie
In vielen Fällen ist eine stationäre Aufnahme in einer spezialisierten Klinik sinnvoll. Andere Möglichkeiten der intensiven Behandlung sind Tageskliniken und Wohngruppen, die sich auf die Betreuung von Personen mit Essstörungen spezialisiert haben.
Psychotherapie ist ein entscheidender Baustein bei der Behandlung. Sie hilft Betroffenen, die Gründe für ihre Erkrankung aufzudecken und aufzuarbeiten. Die Behandlung kann in Einzel- und Gruppentherapien stattfinden.
Helfen kann beispielsweise eine Verhaltenstherapie in Kombination mit Sport und anderen körperorientierten Therapien, eine Kunsttherapie oder eine Familientherapie. Entspannungstechniken und Selbstsicherheitstrainings haben sich ebenfalls bewährt.
In manchen Fällen ist auch der Einsatz von Medikamenten, oft Neuroleptika, sinnvoll. Ein weiterer Ansatz ist die sozialpädagogische Betreuung, die besonders bei länger bestehenden Essstörungen sehr wichtig ist.
Nicht behandelte Essstörungen haben ernste Folgen
Alle Essstörungen sind ernsthafte Erkrankungen, die schwere Folgen für Körper und Psyche haben können. In bis zu zehn Prozent der Fälle verlaufen sie tödlich.
Zu den körperlichen Folgen gehören:
Nährstoffmangel: Mangel an essentiellen Vitaminen und Mineralstoffen, der zu Anämie, Knochenschwund (Osteoporose) und Muskelschwäche führen kann.
Herz-Kreislauf-Probleme: unregelmäßiger Herzschlag, niedriger Blutdruck, Herzinsuffizienz und erhöhtes Risiko für Herzinfarkte
Magen-Darm-Beschwerden: chronische Verstopfung, Reizdarmsyndrom, in schweren Fällen droht ein lebensgefährlicher Magendurchbruch.
hormonelle Störungen: unregelmäßige oder ausbleibende Menstruation bei Frauen (sekundäre Amenorrhoe) bis hin zur Unfruchtbarkeit, reduzierte Testosteronproduktion bei Männern, Wachstumsstörungen bei Jugendlichen.
Zahnschäden: Erosion des Zahnschmelzes durch häufiges Erbrechen, was zu empfindlichen und beschädigten Zähnen führt.
Haut- und Haarprobleme: trockene Haut, brüchige Nägel, Haarausfall oder dünner werdendes Haar. Bei starkem Untergewicht kann es zur Ausbildung einer Lanugobehaarung kommen, einer flaumartigen Behaarung auf Gesicht und Rücken.
Schwäche und Müdigkeit: Chronische Erschöpfung und verminderte körperliche Leistungsfähigkeit.
Zu den psychischen Auswirkungen zählen:
Depression und Angst: erhöhtes Risiko für depressive Episoden und Angststörungen.
Soziale Isolation: Rückzug von sozialen Aktivitäten, Vermeidung von sozialen Situationen, die mit Essen verbunden sind.
Zwangsstörungen: Entwicklung zwanghaften Verhaltens, besonders in Bezug auf Essen, Gewicht und Bewegung.
Niedriges Selbstwertgefühl: übermäßige Selbstkritik, Gefühl der Wertlosigkeit und ständige Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper.
Emotionale Instabilität: häufige Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und emotionale Erschöpfung.
Verlauf und Prognose von Essstörungen
Je früher die Therapie beginnt, desto besser stehen die Chancen, einen Weg aus der Essstörung zu finden. Man geht davon aus, dass dies 70 bis 80 Prozent aller Betroffenen gelingt.
Viele essgestörte Personen behalten aber auch nach überstandener Erkrankung ein schwieriges Verhältnis zum Thema Essen. Sie achten etwa mehr als andere Menschen darauf, was und wie viel sie essen.
Bei etwas über 20 Prozent der Menschen mit Magersucht kommt es immer wieder zu Rückfällen oder zu einem chronischen Verlauf.
Entscheidend ist, dass Betroffene bereit sind, eine Therapie zu beginnen. Ein stabiles soziales Umfeld ist hierbei eine wichtige Unterstützung.