Sexsucht: Wenn Lust krankhaft wird
Nach höchsten wissenschaftlichen Standards verfasst und von Expert*innen geprüftBei einer Sexsucht (Hypersexualität) ist der Drang Sex zu haben übergroß. Sexsüchtige verlieren zunehmend die Kontrolle über ihr Verhalten und übersehen die damit einhergehenden Konsequenzen. Häufig besteht ein hoher Leidensdruck. Welche Anzeichen Sexsucht hat, Ursachen und was hilft!
- © Getty Images/Justin Paget (Symbolbild)
Kurzübersicht: Sexsucht
Definition: Eine Sexsucht (Hypersexualität) liegt vor, wenn der Drang nach Sex außer Kontrolle gerät und für Betroffene negative Konsequenzen bedeutet.
Anzeichen: Unter anderem Toleranzentwicklung (die sexuellen Aktivitäten müssen immer extremer werden), Nutzung von Sex, um sich von Gefühlen und Probleme abzulenken, Vernachlässigung von Pflichten und Hobbys.
Ursachen: Konditionierung des Belohnungssystems des Gehirns, geringes Selbstwertgefühl, psychische Erkrankungen, Traumate in der Kindheit, genetische Veranlagung.
Behandlung: Im Rahmen einer Psychotherapie lernen Betroffene das eigene Verhalten zu reflektieren und zu ändern.
Im Überblick:
Was ist Sexsucht?
Von einer Sexsucht (Hypersexualität) sprechen Fachleute, wenn Menschen einen zwanghaften Drang nach Sex verspüren. Meist geht dieser mit einem hohen Leidensdruck einher. Ähnlich wie bei stoffgebundenen Süchten, muss die Dosis immer weiter erhöht werden. Ansonsten bleibt der stimulierende Effekt aus.
Lange wurde Hypersexualität den sexuellen Funktionsstörungen zugeordnet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zwanghaftes Sexualverhalten seit Anfang 2022 als Krankheit anerkannt.
Männer öfter betroffen als Frauen
Bisher liegen keine verlässlichen Zahlen zur Häufigkeit von Sexsucht vor. Laut Schätzungen sind in Deutschland etwa 500.000 Menschen betroffen, Männer etwa vier bis fünf Mal häufiger als Frauen. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein, da das Thema mit viel Scham behaftet ist.
Satyriasis und Nymphomanie?
Satyriasis ist eine veraltete Bezeichnung für die Sexsucht bei Männern. Der Begriff Nymphomanie beschreibt dagegen Sexsucht bei Frauen. Beide Begriffe sind veraltet und sollten nicht mehr verwendet werden.
Insbesondere der Begriff Nymphomanie ist sehr negativ konnotiert und wird neben vielen anderen Wörtern noch heute benutzt, um sexuell aktive Frauen abzuwerten. In pornografischen Veröffentlichungen wird "nymphoman" und "Nymphomanin" beispielsweise als Aushängeschild gebraucht, um das Bild einer immer willigen Frau zu propagieren. Auch käuflicher Sex wird mit derartigen Begriffen beworben.
Frauen, die tatsächlich von Sexsucht betroffen sind, leiden aber genau wie Männer unter den zwanghaften Gedanken an Geschlechtsverkehr. In vielen Fällen ist ein normaler Alltag durch die gesteigerte sexuelle Motivation kaum möglich.
Wie lässt sich eine Sexsucht erkennen?
Männer oder Frauen, die häufig und gerne Geschlechtsverkehr haben, leiden noch lange nicht an einer Sucht. Kritisch bis krankhaft wird es erst, wenn die Lust die Form von Zwangsgedanken annimmt, die den ganzen Tag das Bewusstsein beherrschen.
Verpflichtungen, sei es privat oder im Job und Hobbys rücken dagegen in den Hintergrund. Bei einer Sexsucht leidet außerdem oft die Partnerschaft unter der Abhängigkeit beziehungsweise andere soziale Kontakte.
Eine Sexsucht lässt sich zusätzlich an diesen Anzeichen erkennen:
- Sex wird genutzt, um negative Gefühle wie Enttäuschung und Demütigung zu kompensieren.
- Durch den übersteigerten Trieb kommen Betroffene oder andere Personen zu Schaden.
Bei Abstinenz sind psychische Entzugserscheinungen möglich – beispielsweise innere Unruhe und Stimmungsschwankungen.
Weitere Anzeichen für Hypersexualität
Genau wie bei der Abhängigkeit von einer Substanz, kommt es auch bei der Sucht nach Sex mit der Zeit zu einem Gewöhnungseffekt. Um sich befriedigt zu fühlen, nimmt das sexuelle Verhalten von Betroffenen daher oft immer extremere Züge an.
Süchtige Männer und Frauen setzen sich etwa eher einem gesundheitlichen Risiko aus, indem sie gefährliche Sexpraktiken ausprobieren sowie auf Kondome verzichten – eine HIV-Infektion kann die Folge sein.
Ursachen: Auslöser von Sexsucht
Die genauen Ursachen von Sexsucht sind nicht geklärt, vielmehr vermuten Fachleute ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren. Die Auslöser sind dabei individuell sehr verschieden. Einige Gründe sind:
Neurobiologische Faktoren: Guter Sex aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn und sorgt unter anderem für die Ausschüttung von Oxytocin. Das Hormon lässt den Körper entspannen und hebt die Stimmung. Vor allem, wenn Sex genutzt wird, um negative Gefühle zu kompensieren, kann es daher schnell zu einem Suchteffekt kommen.
Genetische Faktoren: In Familien von Hypersexuellen gibt es häufig Alkoholismus oder andere Abhängigkeiten, eine genetische Veranlagung zur Entwicklung einer gestörten Impulskontrolle ist daher anzunehmen.
Traumata: Erfahrungen von körperlichem oder seelischem Missbrauch in der Kindheit spielen laut Fachleuten eine wichtige Rolle. Viele Sexsüchtige mussten im Laufe ihres Lebens mehrere traumatische Erfahrungen erleben.
Psychische Krankheiten: Menschen mit einem geringen Selbstwertgefühl oder einer psychischen Störung beziehungsweise Erkrankungen wie Depressionen nutzen Sex mitunter als Form der Bestätigung und/oder um Ängste zu kompensieren. Auch mit einer Manie kann eine gesteigerte sexuelle Betätigung einhergehen.
Soziale und kulturelle Faktoren: War Sex im Elternhaus ein Tabuthema oder galt als schmutzig und verwerflich, etwa im Rahmen eines streng religiösen Erziehungsstils, kann dies ebenfalls dafür sorgen, dass Betroffene sexsüchtig werden. Auch der Einfluss der Medien kann dafür sorgen, dass Menschen einen außergewöhnlich starken sexuellen Drang entwickeln.
Eine weitere Ursache von Hypersexualität sehen manche Fachleute in der überwältigenden Gefühlsintensität der ersten sexuellen Erfahrungen. Betroffene versuchen rastlos, diese Empfindungen zu wiederholen. Auf lange Sicht erreichen sie eher das Gegenteil – ein Abstumpfen gegenüber sexueller Stimulation.
So erfolgt die Diagnose bei Sexsucht
Hauptkennzeichen für Sexsucht ist der Leidensdruck, den Betroffene empfinden. Wichtigstes Diagnosekriterium für die medizinische oder therapeutische Fachkraft ist ein Gespräch, in dem das Sexualverhalten beschrieben wird.
Nimmt Geschlechtsverkehr so viel Energie und Zeit in Anspruch, dass andere Pflichten und Hobbys vernachlässigt werden, steckt sehr wahrscheinlich eine Sucht dahinter.
Verlauf: Sexsucht beginnt oft schleichend
Eine Sexsucht entwickelt sich in der Regel schleichend. Am Beginn steht die gedankliche Fixierung auf Geschlechtsverkehr und sexuelle Befriedigung. Eine Hypersexualität kann mit zwanghafter, übermäßig häufiger Selbstbefriedigung und dem exzessiven Konsum von Pornografie anfangen.
Häufig folgen sexuelle Beziehungen mit schnell wechselnden Sexualpartner*innen. Viele bezahlen für Sex in entsprechenden Einrichtungen und/oder beanspruchen Dienstleistungen wie Telefon- und Cybersex.
Im späteren Verlauf sind Straftaten und Ordnungswidrigkeiten möglich, wie
- die öffentliche Zurschaustellung von Masturbation oder
- den eigenen Geschlechtsteilen (Exhibitionismus) sowie
- sexuelle Belästigung
- oder Voyeurismus.
Auch kann es zu obszönen Anrufen oder anderen Handlungen und Übergriffen kommen.
Sex beherrscht das ganze Leben
Ist das Verlangen bereits so stark, dass Sexualität zum alles beherrschenden Lebensbereich geworden ist, helfen meist nur eine lange Psychotherapie sowie eine Selbsthilfegruppe.
Selbsthilfe bei Sexsucht
Obwohl Sexsucht als therapiebedürftige Störung in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt ist, nehmen viele Betroffene aus Scham keine professionelle Hilfe in Anspruch. Den Weg aus der Sexsucht finden allerdings nur sehr wenige Personen ohne Unterstützung.
Viele hypersexuelle Menschen warten zu lange, bis sie Unterstützung suchen und verleugnen den Suchtcharakter ihres Problems. Mitunter nimmt die Krankheit dann immer extremere Züge an, bevor eine Therapie schließlich unumgänglich wird.
Der Austausch mit anderen Betroffenen spielt bei der Bewältigung von Sexsucht eine große Rolle – gerade weil die Sucht einen so privaten Lebensbereich betrifft. Im Gespräch mit anderen lässt sich die Krankheit enttabuisieren und die Rückfallgefahr mindern. Hier finden Süchtige Hilfe:
Selbsthilfe-Angebote bei Sexsucht:
Die Anonymen Sexaholiker (AS) sind ein Abkömmling der Anonymen Alkoholiker (AA) und haben deren Therapie-Leitsätze übernommen.
SLAA (Sex and Love Addicts Anonymous) – die Anonymen Sex- und Liebessüchtigen helfen sich gegenseitig, die Sucht zu therapieren. Sie bieten außerdem 40 Fragen zur Selbstdiagnose an.
S-Anon wendet sich an Opfer von Sexsüchtigen und bringt Angehörige oder Partner*innen von Hypersexuellen zusammen, die stark unter einer Co-Abhängigkeit leiden können. Sie wenden ebenfalls die zwölf Schritte der AA an.