Legasthenie: Schwäche beim Lesen und Schreiben
Legasthenie ist eine Entwicklungsstörung, bei der Kinder große Probleme haben, das Lesen und Schreiben zu erlernen. Geschriebenes können sie schlecht enträtseln und Gesprochenes schwer niederschreiben. An welchen Anzeichen lässt sich eine Legasthenie erkennen?
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Kurzübersicht: Häufige Fragen und Antworten
Was ist Legasthenie? Es handelt sich um eine spezifische Lese-Rechtschreibstörung. Betroffene haben Schwierigkeiten beim Erlernen des Schreibens und/oder Lesens. Dies hat jedoch nichts mit mangelnder Intelligenz zu tun.
Wie kann man Legasthenie erkennen? Kinder mit Legasthenie lesen stockend, lassen Buchstaben oder Wörter aus, vertauschen sie oder fügen willkürlich welche hinzu. Schriftliche Arbeiten weisen häufig zahlreiche Rechtschreibfehler auf. Außerdem haben Betroffene oft Probleme damit, die einzelnen Laute in Wörtern zu hören und korrekt zu verarbeiten.
Was ist der Grund für Legasthenie? Die Ursachen sind noch nicht vollständig geklärt. Genetische Faktoren scheinen eine große Rolle zu spielen, denn Legasthenie kommt in Familien gehäuft vor.
Artikelinhalte im Überblick:
Was ist Legasthenie?
Eine Legasthenie oder Lese-Rechtschreibstörung (LRS) wird im internationalen Störungskatalog der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ICD-10 als spezifische Entwicklungsstörung schulischer Fertigkeiten klassifiziert.
Es handelt sich um eine sogenannte Teilleistungsstörungen. Dazu zählt etwa auch die Rechenschwäche (Dyskalkulie). Betroffene mit Legasthenie haben Probleme im Schriftspracherwerb: Es fällt ihnen schwer, gesprochene in schriftliche Sprache umzusetzen und umgekehrt.
Folgende Kriterien müssen für eine Legasthenie erfüllt sein:
Diskrepanz bei Lese-Rechtschreibleistungen: Leistungen liegen deutlich unter dem erwarteten Niveau für das Alter oder die Intelligenz.
Intelligenz im normalen oder höheren Bereich: Ausschluss von allgemeinen Lernstörungen und Intelligenzminderung.
Kein Vorliegen körperlicher oder psychischer Störungen: Ausschluss von Seh-, Hör- und motorischen Beeinträchtigungen.
Keine unzureichende schulische Förderung oder psychosoziale Belastungen als Ursachen.
Jungen häufiger betroffen
Legasthenie ist eine relativ häufige Entwicklungsstörung bei Kindern. Etwa fünf Prozent der Grundschüler*innen haben Probleme, die gesprochene Sprache ins Schriftliche umzuwandeln oder umgekehrt Geschriebenes zu lesen.
Jungen sind etwa doppelt so häufig von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten betroffen wie Mädchen. Aber nicht jedes Kind, bei dem das Lernen, Schreiben und Lesen in der Schule nicht reibungslos verläuft, hat Legasthenie.
Symptome der Legasthenie erkennen
Wenn Kinder das Lesen und Schreiben erlernen, sind gewisse Fehler und Schwierigkeiten zunächst normal. Mit der Zeit nimmt dies aber in der Regel ab. Bei Kindern mit Legasthenie hingegen sind die Probleme deutlich stärker ausgeprägt und halten an.
Lesen und Schreiben werden in der Regel gleichzeitig erlernt, wodurch eine Rechtschreibstörung oft auch mit Problemen beim Lesen verbunden ist. Eine sogenannte "isolierte Rechtschreibstörung" hingegen tritt nur sehr selten auf.
Anzeichen einer Leseschwäche (Dyslexie)
Oft zeigt sich eine Lesestörung bereits im ersten Schuljahr. Sie wird auch als Dyslexie beziehungsweise Dyslexia bezeichnet. Eine Lesestörung geht mit folgenden Anzeichen einher:
Probleme mit der phonologischen Bewusstheit: Schwierigkeiten, Sprachlaute zu erkennen und zu kombinieren
langsame Lesegeschwindigkeit
Stocken während des Lesens
Wörter, Silben oder Buchstaben werden ausgelassen, geraten, vertauscht oder hinzugefügt
Die Dyslexie erschwert es Betroffenen zudem, den Inhalt eines Textes zu verstehen und sinngemäß wiederzugeben. Sie versuchen häufig, Fragen zum Text aus ihrem Allgemeinwissen heraus zu beantworten.
Anzeichen einer Rechtschreibschwäche (Agraphie)
Eine Legasthenie geht zusätzlich mit einer Rechtschreibstörung einher. Dabei treten zum Beispiel folgende Schwierigkeiten auf:
Probleme beim Schreiben von Buchstaben, Wörtern und Sätzen
formähnliche Buchstaben und klangähnliche Laute werden verwechselt
Vertauschen von Buchstaben, Wörtern und Silben
oft unleserliche Handschrift
Fehler in der Groß- und Kleinschreibung und Dehnung (etwa "Flige" statt "Fliege")
häufig auch viele Fehler in der Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik
Insbesondere bei Aufsätzen und Diktaten fallen die Probleme auf.
Die Störung geht vor allem mit schlechten Noten in Deutsch und Fremdsprachen einher. Defizite zeigen sich aber oft auch in vielen anderen Fächern.
Legasthenie hat nicht nur eine Ursache
Die genauen Ursachen für Legasthenie sind noch nicht vollständig erforscht. Es wird angenommen, dass sowohl genetische Veranlagungen als auch psychosoziale und neurologische Faktoren eine Rolle spielen, welche die Entwicklung des Sprachzentrums beeinträchtigen und die Lese-Rechtschreibfähigkeit beeinflussen.
Diagnose: Test auf Legasthenie
Nicht immer liegt eine Legasthenie vor, wenn ein Kind beim Lesen oder Schreiben Probleme hat. Auch körperliche oder psychische Faktoren können vorübergehend die Symptome der Lese-Rechtschreibstörung auslösen.
Ärzt*innen müssen andere mögliche Ursachen deshalb zunächst ausschließen. So untersuchen zum Beispiel Hals-Nasen-Ohrenärzt*innen das Hörvermögen und die Stimmbildung, während sich Augenärzt*innen vom Sehvermögen eines Kindes überzeugt.
Wichtig ist auch ein Gespräch zwischen der ärztlichen Fachperson und den Eltern. Sie können Antworten auf Fragen geben, die vielleicht mit den kindlichen Problemen beim Lesen und Schreiben in Zusammenhang stehen.
Leistungsfähigkeit und Test des IQ
Scheiden körperliche oder psychische Faktoren als Ursachen für die Lese-Rechtschreibstörung aus, werden standardisierte Bewertungsverfahren eingesetzt, die den tatsächlichen Leistungsstand des Kindes ermitteln.
Seit 2015 wird zusätzlich zu diesem Testverfahren ein Intelligenztest empfohlen: Nur wenn Kinder im IQ-Test einen durchschnittlichen oder sogar erhöhten Wert erzielen, sie aber gleichzeitig Lese- und Schreibprobleme haben, gilt die Diagnose der Lese- und Rechtschreibschwäche als gesichert.
Damit lässt sich ausschließen, dass die Schwierigkeiten auf eine unterdurchschnittliche Intelligenz zurückzuführen sind.
Therapie: Wie wird Legasthenie behandelt?
In der Regel kann eine Legasthenie nicht geheilt werden. Jedoch lassen sich die Schwierigkeiten durch eine gezielte und frühe Förderung oftmals deutlich reduzieren.
Es gibt heutzutage verschiedene Förderprogramme für Betroffene einer Lese-Rechtschreibstörung. Bei der Auswahl des passenden Programms sollte zunächst eine individuelle Diagnostik durchgeführt werden, um die Förderschwerpunkte zu bestimmen. Basierend darauf kann die integrative Förderung nach einem systematischen und evaluierten Förderkonzept, meist in Einzelarbeit, beginnen.
Ängste mitbehandeln
Da fast die Hälfte der Kinder mit Legasthenie auch an psychischen Begleitsymptomen leiden, sollten psychotherapeutische Methoden in die Lernförderung einbezogen werden.
Geschultes therapeutisches Fachpersonal kann das Selbstbewusstsein der Kinder stärken. Die Expert*innen arbeiten mit Konzepten zur Lernerleichterung und Selbstkorrektur. Außerdem vermitteln sie dem Kind Techniken, wie es seine Konzentrationsfähigkeit steigern, besser mit Frustrationen umgehen und sich in Belastungssituationen entspannen kann. So lassen sich beispielsweise Furcht vor dem eigenen Versagen und Schulangst vorbeugen und behandeln.
Zudem ist die Unterstützung durch die Eltern von großer Bedeutung, um Hilfe bei schulischen Anforderungen, Hausaufgaben und der Förderung zu Hause zu bieten.
Nachteilsausgleich und Notenschutz
Seit 2023 wird Legasthenie als Behinderung anerkannt. Diese Anerkennung ermöglicht es betroffenen Personen, Zugang zu spezifischen Unterstützungsmaßnahmen und rechtlichen Schutz zu erhalten.
Dazu zählen häufig Nachteilsausgleiche in der Schule, spezielle Fördermaßnahmen und andere Formen der Unterstützung, um die Auswirkungen der Lese-Rechtschreibstörung zu mildern und Chancengleichheit zu gewährleisten.
Beim Notenschutz wird beispielsweise die Rechtschreibung und/oder die Lesefähigkeit in einer Prüfung nicht berücksichtigt. Der Notenschutz wird häufig jedoch erst bei erheblichen Schwierigkeiten und drohender Nichtversetzung angewendet.
Verlauf einer Legasthenie
Eine gezielte Förderung kann eine LRS zwar deutlich verbessern, dennoch beeinträchtigt die Störung häufig den schulischen Werdegang. Kinder mit Legasthenie machen trotz Unterstützung viele Lese- und Rechtschreibfehler und arbeiten langsamer.
Nur etwa ein Viertel der Betroffenen erreicht in der Grundschule das Leistungsniveau ihrer Mitschüler*innen.
In höheren Klassenstufen bleibt die Situation für Legastheniker*innen anspruchsvoll: Sie müssen sich unbekannte Wörter mühsam erarbeiten und benötigen viele Gedächtnishilfen. Das führt zu erheblichem Zeitdruck bei schriftlichen Aufgaben, vermehrten Fehlern und einer nachlassenden Konzentrationsfähigkeit.
Auch das Erlernen einer Fremdsprache gestaltet sich schwierig. Je stärker die LRS ausgeprägt ist, desto höher ist das Risiko eines Schulabbruchs und die Chancen auf eine qualifizierte Berufsausbildung verringern sich.
Lässt sich einer Lese-Rechtschreibschwäche vorbeugen?
Einer LRS lässt sich nicht vorbeugen. Wichtig ist es, dass Eltern und Lehrer*innen ihre Aufmerksamkeit für erste Anzeichen einer Lese-Rechtschreibstörung bei Kindern schärfen.
Es gibt heute verschiedene Maßnahmen, um eine Legasthenie bei Kindern frühzeitig zu erkennen. Sie setzen schon im Kindergartenjahr vor der Einschulung an.
Wird die Legasthenie noch vor dem Schulbeginn und dem Sprachunterricht entdeckt, tun sich die Kinder mitunter viel leichter, den Einstieg in das Erlernen der Schriftsprache zu finden. Auch bleiben ihnen Frustrationen im Unterricht eher erspart.
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