Wie funktioniert unser Gedächtnis?
Das menschliche Gehirn nimmt Unmengen von Informationen auf. Um das Gedächtnis nicht zu überfrachten, muss es zwischen Merken und Lernen unterscheiden: Was kann nach kurzer Zeit wieder vergessen und was muss – vielleicht für immer – erinnert werden? Arbeits- und Langzeitgedächtnis bilden dabei ein unschlagbares Team.
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Die Spanne reicht von Millisekunden bis hin zu Jahrzehnten: Abhängig davon, wie lange Informationen im Gehirn zur Verfügung stehen, unterscheidet man Arbeits- und Langzeitgedächtnis.
Während aktuelle Wahrnehmungen im Arbeitsgedächtnis verarbeitet werden, sind bereits erworbenes Wissen und Erfahrungen im Langzeitgedächtnis gespeichert und werden bei Bedarf aktiviert. Nur durch deren Zusammenspiel erreicht das Gedächtnis seine optimale Leistungsfähigkeit – dafür sorgen die Synapsen. Über diese Kontaktstellen tauschen sich Nervenzellen mithilfe elektrochemischer Reize aus. Die Informationsspeicherung findet bevorzugt in der Gehirnrinde (Cortex) und im Hippocampus, dem sogenannten "Tor zum Gedächtnis", statt.
Das Arbeitsgedächtnis: Zentrale Schaltstelle des Gehirns
Das Arbeitsgedächtnis ist eine erweiterte Form des ursprünglichen Modells vom Kurzzeitgedächtnis. Hier werden durch elektrische Aktivierung neuronaler Netze – beispielsweise beim Sprechen der Anfang und die Mitte eines Satzes – gemerkt, während das Ende gerade gehört wird. So entsteht eine Information über einen Satzinhalt. Ähnlich funktioniert das Lesen oder das Kopfrechnen.
Das heißt: Dem Arbeitsspeicher kommt die wichtigste Rolle für die Informationserhaltung und -auswertung zu. Er ist die zentrale Schaltstelle für alles, was bewusst verarbeitet werden soll.
Nur wenige Sekunden verbleiben die Informationen im Arbeitsgedächtnis und stehen in dieser Zeit unmittelbar und bewusst zur Verfügung. Danach sind sie entweder verschwunden oder werden in anderen Neuronenschaltkreisen zwischengelagert beziehungsweise vollends im Langzeitgedächtnis gespeichert – je nachdem, für wie wichtig sie erachtet werden.
An zwei Basisgrößen, die individuell unterschiedlich sind, lässt sich die Leistungsfähigkeit des Arbeitsspeichers ablesen:
Zum einen ist dies die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung, das heißt die Menge an Informationen, die das Gehirn pro Zeiteinheit aufnehmen, verarbeiten, speichern oder aussortieren kann. Ein durchschnittlicher Erwachsener ist demnach in der Lage, bei voller Anstrengung in einer 15tel Sekunde etwa zwei Bilder oder Laute zu erfassen.
Darüber hinaus ist die Merkspanne entscheidend. Das ist der Zeitraum, in dem eine Information im Arbeitsgedächtnis "gehalten" werden kann, bevor dieses die Kapazitätsgrenze erreicht. Bei einem Erwachsenen sind dies etwa vier bis sieben Sekunden.
Arbeitsgedächtnis lässt sich trainieren
Für beide Prozesse benötigt das Gehirn etwa ein Viertel der Energie, die im Organismus zur Verfügung steht. Daher ist vor allem regelmäßige und ausgewogene Ernährung von großer Bedeutung für die geistige Leistungsfähigkeit. Weil die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses außerdem begrenzt ist, findet ein ständiges Umsortieren und "Überschreiben" der alten mit neuen Informationen statt. So geht nach drei oder vier Verschachtelungen in einem nur gesprochenen Satz der Satzbeginn oft schon wieder verloren, wenn das Satzende noch aussteht.
Erhöht wird die Aufnahmefähigkeit dadurch, dass das Gehirn in der Lage ist, Wahrnehmungen zu filtern und wesentliche Informationen von unwesentlichen zu trennen. Von unserem Arbeitsweg am Morgen erinnern wir kurze Zeit später höchstens noch den Drängler, nicht aber andere Details. Je besser diese Selektion funktioniert, desto effizienter ist die Leistung des kurzzeitigen Gedächtnisses. Trotzdem
merken wir uns nur einen Bruchteilaller eingehenden Informationen tatsächlich und einen noch kleineren Anteil verankern wir dauerhaft im Langzeitgedächtnis.
Ein gut funktionierender Arbeitsspeicher ist der Dreh- und Angelpunkt mentaler Fitness. Mit zunehmendem Alter verlangsamt sich die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung. Durch gezielte Maßnahmen lässt sich die Leistung des Gedächtnisses wieder steigern. Doch nicht nur Gehirnjogging allein, sondern auch körperliche Bewegung verbessert die kognitive Leistung und sollte für ein erfolgreiches Gedächtnistraining nicht vernachlässigt werden.
Das Langzeitgedächtnis: Wissen, das bleibt
Vor allem solche Informationen, die wir individuell als wichtig erachten, mit bekanntem Wissen verknüpfen können oder die uns emotional berühren, gelangen mit weniger Aufwand über die Synapsen in das Langzeitgedächtnis. Dort bleiben sie gespeichert – über Minuten, Stunden, Jahre und teilweise über Jahrzehnte.
Das Gehirn benötigt allerdings mindestens 24 Stunden, um eine Information verlässlich im Gedächtnis zu verankern. Während dieser Spanne wird die Gedächtnisbildung durch konkurrierende Informationen gestört oder durch dazu passende gefördert. Denn durch die enge Wechselbeziehung zwischen Arbeitsspeicher und Langzeitgedächtnis werden aktuelle Wahrnehmungen kontinuierlich mit den Erinnerungen und Erfahrungen aus dem langfristig angelegten Gedächtnis verglichen, bewertet und neu interpretiert.
Auf diese Weise ist das menschliche Gehirn in der Lage, neue Situationen zu meistern und sein Wissen ständig zu erweitern und zu aktualisieren. Kurz gesagt ist es dadurch befähigt zu lernen – und zwar ein Leben lang.
Langzeitgedächtnis: zwei Gedächtnisse in einem
Nach der Art der gespeicherten Informationen unterteilt man das Langzeitgedächtnis in das deklarative und das prozedurale Gedächtnis.
Das deklarative Gedächtnis speichert zum einen Tatsachen und Ereignisse, die personenunabhängig sind, etwa neutrale Fakten, die als "Weltwissen" bezeichnet werden, und zum anderen Geschehnisse und Daten aus dem eigenen Leben.
Das prozedurale Gedächtnis hingegen speichert erlernte Fertigkeiten, die quasi "unbewusst" abrufbar sind. Dazu gehören motorische Abläufe wie sie beim Fahrradfahren oder Schwimmen nötig sind.
Eine zentrale Rolle bei der Bildung und Verarbeitung von Erinnerungen spielt das sogenannte Limbische System und hier im Besonderen der Hippocampus. Er wird als "Tor zum Gedächtnis" bezeichnet, denn er fungiert als Schaltstelle zwischen den verschiedenen Gehirnsystemen. Er erkennt, welche Informationen neu sind, koordiniert die unterschiedlichen Gedächtnisinhalte und organisiert das Einspeichern bewusster Informationen aus dem Arbeitsspeicher in das Langzeitgedächtnis. Unterstützt wird er dabei vom Mandelkern (Amygdala), dem Teil des Limbischen Systems, in dem die sachlichen Informationen emotional bewertet werden.
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